Alfred Weil
Im Himmel der Götter der Dreiunddreißig herrscht Aufruhr. Hat es doch da ein hässlicher, frecher, böser Geist gewagt, sich auf dem Thron des Götterkönigs Sakko nieder zu lassen Da sitzt er nun trotzig und will nicht weichen. Die anwesenden Himmelswesen sind empört und ärgerlich, Zorn wallt in ihnen auf. Und wie sie ihrer Entrüstung nachgeben, murren und schimpfen, wächst dieser böse Geist, wird immer größer und bedrohlicher.
Schnurstracks eilen sie zu ihrem Herrscher Sakko und melden den unerhörten Vorfall: „Das ist wohl ein zornfressender Geist“, vermuten sie.
Der Himmelsfürst erhebt sich alsbald und begibt sich zu dem dreisten Eindringling. Dort angekommen kniet er vor ihm nieder, verbeugt sich ehrerbietig und nennt seinen Namen: „Ich bin, Verehrter, Sakko, der Fürst der Götter.“ Und wie er das dreimal freundlich sagt, wird jener krüppelhafte Geist immer kleiner und unansehnlicher und verschwindet schließlich ganz.
Diese in den buddhistischen Texten überlieferte Szene erinnert an etwas zutiefst Menschliches: Da ist ein Vorkommnis, das den eigenen Vorstellungen und Wünschen nicht entspricht. Die spontane Reaktion kennen wir gut. Widerstand regt sich, Gedanken von Ärger und Zorn steigen auf. Vielleicht entfahren böse Worte unserem Mund, eventuell Drohungen. Oder es kommt am Ende gar zu Handgreiflichkeiten. Dabei fühlen wir generell uns im Recht. Ja, wir glauben uns geradezu verpflichtet, den oder die Übeltäter in die Schranken zu weisen, um Schlimmeres zu verhüten. Und unmittelbar danach: ein Empfinden Genugtuung tritt ein. Wir haben dem Ärger nachgeben, der zuvor aufgekommene Druck hat sich verflüchtigt.
Diese Art des Agierens gründet auf Emotionen und zielt auf eine momentane Gefühlsbefriedigung. Emotionen aber blenden, sie zeigen eine Situation nicht realistisch und vor allem lassen sie nicht die mittel- und langfristigen Folgen unseres Tuns erkennen.
Wer indessen die Zusammenhänge mit einigem Abstand betrachtet, wird selbst erkennen, was der Buddha treffend mit folgendem Bild beschreibt: Wer zornig ist und aus diesem Impuls heraus agiert, ist wie jemand, der glühende Kohlen in die Hand nimmt, um sie nach anderen zu werfen. Eines ist dabei ganz sicher: Er verbrennt sich selbst die Hand. Ob er aber den anderen trifft, ist völlig ungewiss. Der Zornige fühlt sich nämlich im akuten Moment selbst ausgesprochen unwohl in seiner Haut. Er ist aufgewühlt, es brennt in ihm, er kocht. Und außerdem: Sein Ziel, die missliche Situation zu seinen Gunsten zu verändern, erreicht er gar nicht. Im günstigsten Fall verpuffen seine Ausbrüche einfach, im ungünstigen sind sie der Einstieg zu immer weiter eskalierenden Handlungen. Der als solcher ausgemachte Gegner schlägt zurück, und wie automatisch schaukeln sich die Konfliktbeteiligten gegenseitig hoch.
Geradezu untermenschlich ist es, wenn sich jemand ungezügelt in Ärger, Zorn und Wut hineinsteigert, sie gleichsam zum Programm erhebt. Er geht ihnen ungehemmt nach und das mit voller Überzeugung. Aggression und Hass sind seine zweite Natur geworden. Menschsein hingegen heißt, in bestimmten Situationen wohl mehr oder weniger die aufsteigende innere Glut zu spüren und ihr auch in unterschiedlichem Maß noch nachzugeben. Teils ohne und teils mit dem Widerspruch des eigenen besseren Wissens. Der Götterkönig Sakko hingegen zeigt eine wahrhaft himmlische, also über das Normalmenschliche hinausgehende Haltung. Natürlich passt es auch ihm nicht, wenn ein unverschämter Usurpator seinen Thron besteigt und Unruhe stiftet. Doch seine Strategie, mit dieser konfliktträchtigen Situation umzugehen, ist eine völlig andere. Er schürt das Feuer nicht, weder in sich noch bei seinem gegenüber. Er gießt kein Öl in die Flammen, sondern bleibt ruhig und beherrscht.
Mehr über die Hintergründe dieser feinen Sinnesart erfahren wir aus einer andere Episode. Wieder ist ein Konflikt angesagt, ein Krieg gar zwischen den Göttern und den Dämonen ist in vollem Gang. Dabei wird der Dämonenfürst Vepacitti gefangen genommen, der seinerseits seinen Widersacher und momentanen Sieger lauthals beschimpft. Doch Sakko reagiert auch jetzt gelassen und souverän. Er ärgert sich nicht und schimpft nicht zurück.
Seinen Wagenlenker Matali wundert das, und er will wissen: „Erträgst du diese Schmähungen aus Furcht oder aus Schwäche?“ – „Weder aus dem einen noch aus dem anderen Grund“ lautet die Antwort. „Warum sollte sich ein Weiser und Besonnener mit einem Toren einlassen?“
„Ganz einfach“, so Matali, „weil sonst der Tor nur noch mehr in Rage gerät. Man muss solchen Leuten sofort Einhalt gebieten, und wenn man der Stärkere ist, muss man sie bestrafen.“
Die Unterschiede zwischen den beiden Himmlischen sind unverkennbar. Der Wagenlenker Matali setzt auf Durchgreifen, Stärke, Härte, fordert Bestrafung und Vergeltung. Er will Ungezogenheit und Zorn gewaltsam Einhalt gebieten. Sakko hingegen baut auf Weisheit. Nicht zuletzt deshalb ist er der Fürst der Himmelswesen. Zu seinen positiven Charaktereigenschaften neben Sanftmut und Geduld gehören eben tiefere Einsicht und ein klarer Blick auch für Zusammenhänge, die nicht offensichtlich sind und daher den meisten verborgen bleiben. Er kann und will sich nicht auf die Ebene eines Unwissenden und Toren begeben, der aus Blindheit und Unbeherrschtheit etwas für alle Beteiligten Schädliches tut.
Sakko daher weiter: „Das eben, meine ich, ist der richtige Umgang mit Toren: Wenn jemand, der den andern erzürnt sieht, besonnen und ruhig bleibt.“
Das ist tatsächlich eine anspruchsvolle Strategie: Zorn nicht mit Zorn zu begegnen, sondern mit Milde. Er will Besonnenheit und die eigene innere Ausgeglichenheit bewahren. Er will besänftigen statt den Konflikt weiter anzuheizen. Er will eben nicht auf derselben Ebene antworten, auf der sein Herausforderer ihn provoziert.
Matali hingegen ist noch nicht überzeugt. Er befürchtet, dass sich die Situation ohne harte Reaktion nur verschärft, und argumentiert: „Dass du das alles hinnimmst, halte ich für einen Fehler. Wenn dieser Tor nun glaubt, dass du seine Ausbrüche aus Furcht duldest, wird er nur noch dreister. So wie ein Rind, wenn man von ihm davonläuft.“
Er meint also, dass man den Dämonen mit Gegendruck zur Unterwerfung zwingen muss, weil Zurückhaltung wie eine Einladung zum Weitermachen und Frecherwerden aussieht. Sakko indessen bekräftigt: „Was dieser Eindringling auch denken mag: Es gibt nichts Höheres als die Geduld.“
Er bleibt bei seinem höheren Standpunkt und lässt sich nicht auf Matalis Maßstäbe ein. Ihm ist nämlich klar, dass er sich nicht von ungefähr in der jetzigen Situation befindet. Sie ist keineswegs zufällig zustande gekommen. Auch wenn er die konkreten Ursachen und Gründe nicht vor Augen hat, eines ist ihm klar: Die gegenwärtig angespannte Lage rührt aus seinem eigenen vergangenen – unter Umständen lange zurückliegenden und vergessenen – Handeln. Buddhisten nennen dieses existenzielle Gesetz Karma. Es besagt, dass ein Mensch nichts erleben kann – im Guten wie im Schlimmen – das nicht einst von ihm im Denken, Reden oder Handeln ausgegangen ist. Karma bedeutet Wirken und das Erleben der Folgen dieses Wirkens an sich selbst. Karma ist Säen und das Einbringen der Ernte davon.
Wenn Sakko also jetzt ein unschönes Szenario voller Zorn und Dreistigkeit erfährt, waren sein Tun und Lassen einst von derselben unguten Qualität. Das jetzt Erlebte ist nur ein Spiegel, der ihm seine eigene unvollkommene Vergangenheit vorhält.
Wenn der Götterkönig die Situation nachhaltig bereinigen will, muss er den Teufelskreis wechselseitiger Aversion und Aggression unterbrechen. Er wird versuchen, jede ärgerliche Reaktion zu vermeiden. Wenn er jetzt nicht schimpft und poltert, handgreiflich wird oder gar zu gewaltsamen Mittel greift, schützt er sich davor, künftig wieder selbst Opfer solcher Haltungen und Handlungen zu werden. Er sät nichts Gewaltsames mehr und hat daher auch keine heftige Ernte mehr zu erwarten. Sakko weiß: Wenn ich das gegenwärtige unangenehme Vorkommnis ohne inneren und äußeren Widerstreit hinnehme, ist es abgetan. Ich habe es getilgt und bin für alle Zeit frei davon. –
Wir sind vermutlich nicht der Götterkönig und haben weder seine übermenschlichen Fähigkeiten noch seine tiefen Einsichten. Wahrscheinlich fühlen wir uns von Fall zu Fall durchaus berechtigt, Flagge zu zeigen und gegebenenfalls auch ein überdeutliches Wort zu sagen. Schon deshalb, weil wir glauben, dass jedes Klein-bei-Geben ein Ausdruck von Schwäche ist. Doch gerade das stimmt nicht, wie Sakko seinen Wagenlenker nun belehrt:
Wahrlich, wenn einer, der stark ist, von dem Schwachen (etwas) erträgt,
Das nennt man die höchste Geduld; immer duldet (sonst) der Schwache.
Schwäche nennt man die Stärke, wenn jemandes Stärke die Stärke der Torheit ist;
Für die Stärke, die vom Recht geschützt ist, gibt es keinen Widersacher.
Wahre Geduld ist nämlich nicht, wenn ein Unterlegener etwas gezwungenermaßen hinnimmt und seinen Missmut hinunterschluckt. Sich vor seinem ungehaltenen Chef zurückzuhalten, ist für die meisten keine große Kunst. Aber Gelassenheit, Selbstbeherrschung und Güte gegenüber einem Abhängigen und Unterlegenen zu zeigen, der sich daneben benimmt, offenbart wahre Größe. Für Sakko ist es viel wichtiger, auf die ihm ohne weiteres mögliche Machtdemonatration zu verzichten, nicht aufzutrumpfen, um doch nur auf Unwissen beruhende Scheinstärke zu zeigen. Seine Zurückhaltung und Zornlosigkeit sind gerade Ausdruck von Überlegenheit.
Hinzu kommt: In der momentanen Situation seinem Ärger freien Lauf zu lassen, hieße doch auch, sich selbst zu schaden – wie es das folgende Wort Sakkos zum Ausdruck bringt:
„Es ist für einen nur noch schlimmer, wenn man dem Erzürnten wieder zürnt. Wer aber dem Erzürnten nicht wieder zürnt, der siegt im Kampfe, wo schwer der Sieg zu erringen.“
Sich abzureagieren und Wutausbrüche zu inszenieren bringt nur momentane Entlastung und kurzzeitige Befriedigung. Unter dem Strich aber ist doppelter Schaden entstanden: Man selbst ärgert sich künftig noch schneller, ist noch etwas zorngeneigter geworden. Und man hat äußeres Konfliktpotenzial geschaffen, hat weitere provozierende Ereignisse in die Zukunft geschickt. Sakko Resümee lautet daher:
„Für beider Segen, für den eignen wie für den des andern, wirkt
Wer, wenn er den andern erzürnt sieht, besonnen in Ruhe verharrt.
Ihn, der beiden Heilung bringt, sich selber und dem andern,
Halten für einen Toren nur die Leute, die unkundig sind der wahren Lehre.’
Nach einem Vortrag in NDR Info: Aus der Sendereihe Religionsgemeinschaften - Buddhisten, am Sonntag, 07.01.2018, 7.15 Uhr bis 7.30 Uhr – gelesen von Kornelia Paltins
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