Gebefreudigkeit und Großherzigkeit Die meisten von uns werden ihn kennen: den Mann im Mond. Für die Inder ist das allerdings gar kein Mann, sondern - wenn man genau hinschaut - ein Hase. Und am Fuße des Himalaya weiß man auch, wie das kleine Tier vor Zeiten einmal dorthin gekommen ist.
Nun, in längst vergangenen Tagen lebten einmal vier Tiere einträchtig und guten Sinnes miteinander: ein Hase mit seinen Freunden - einem Affen, einem Schakal und einem Fischotter. Tagsüber ging jeder für sich seinen Geschäften nach, vor allem machten sie sich natürlich auf die Nahrungssuche, doch die Abende verbrachten sie gemeinsam. Der Hase als der weiseste von ihnen ließ seine Freunde gerne an seinem Wissen teilhaben und riet ihnen in allen Lebenslagen: „Verhaltet euch anständig, beachtet den Feiertag und seid immer großherzig und gebefreudig". Und als einmal wieder der Feiertag bevorstand, schärfte er ihnen besonders ein, ja keinen Bittenden abzuweisen und von ihrem Essen abzugeben, falls sich ein Bedürftiger zeigen sollte.
Der nächste Morgen brachte für die Freunde viel Gutes: Der Fischotter erbeutete sieben rote Fische, der Schakal konnte zwei Fleischspieße auftreiben und der Affe fand im Wald einen Bündel von Mangos. Zu passender Gelegenheit werden wir das mit Vergnügen fressen, dachten sie. Der Hase wiederum war hinausgezogen, um sich mit saftigem Gras und wohlriechenden Kräutern zu stärken. Dabei überlegte er, was er denn etwa einem Bittenden als Speise anbieten könnte. Gras und Kräuter kämen wohl nicht in Frage, und Sesamkörner, Bohnen oder Reis besaß er nicht. Was also tun? Sein Entschluss stand schnell fest: „Dann werde ich mich selbst opfern!"
Der Thron des Götterkönigs Sakko wurde von so viel Edelmut ganz heiß, und schnell fand er den Grund dafür heraus. „Ich werde den Hasen auf die Probe stellen", beschloss er darauf und machte sich als Brahmane verkleidet auf den Weg. Der Reihe nach trat Sakko vor den Fischotter, den Schakal und den Affen und bat sie um Almosenspeise. Ohne zu zögern, boten die drei von ihrer Habe an. Schließlich gelangte der Götterkönig zu dem Hasen und wiederholte seine Bitte.
Der war hoch erfreut über die Möglichkeit, seine Gebefreudigkeit zu zeigen, dankte dem vermeintlichen Brahmanen dafür und versprach ihm eine Gabe, die er noch nie zuvor gegeben hatte. „Trage etwas Holz zusammen und mache ein Feuer daraus", bat er den unbekannten Gast, „ich werde mich dann in die Flammen stürzen. Wenn mein Fleisch gebraten ist, sollst du dich davon ernähren."
Mit seiner göttlichen Macht entflammte Sakko augenblicklich ein loderndes Feuer. Der Hase aber stand auf, schüttelte drei Mal seinen Körper, denn er wollte nicht, dass kleine Tierchen zu Schaden kämen, die sich vielleicht in seinem Felle befanden. Dann sprang er ohne zu Zögern in die Glut. Doch was geschah? Die Flammen konnten dem Hasen nichts anhaben. Nicht ein Härchen wurde versengt, ja sein Körper empfand nicht einmal die Hitze.
„Ich bin kein Brahmane", sagte darauf Sakko, „sondern der Götterkönig, und ich wollte dich auf die Probe stellen. Deinen Mut und deine Großherzigkeit will ich belohnen. Ein Weltzeitalter lang sollen sich die Menschen an deine Gebefreudigkeit erinnern." Darauf nahm Sakko einen Berg, presste ihn zusammen und mit dem Saft zeichnete er das Bild eines Hasen auf die strahlende runde Scheibe des Mondes. Noch heute ist es zu sehen.
Der buddhistischen Tradition gemäß war der großherzige Hase der künftige Buddha in einer seiner vielen früheren Geburten. In ihnen erwarb er nach und nach all die herausragenden Eigenschaften, die ihn schließlich zu dem großen Menschheitslehrer und Vorbild werden ließen. Und einer seiner Vorzüge war eine geradezu übermenschliche Gebefreudigkeit.
Sie mag ein hohes Ideal für eine ganz außerordentliche Persönlichkeit sein, ist aber für den Alltagsgebrauch wohl kaum tauglich. Wer ist schon bereit, ohne Zaudern sein Leben hinzugeben, nur um einem anderen eine Freude zu machen oder ihm einen Gefallen tun? Doch eines kann unsere Geschichte bewirken: dass wir uns die Frage stellen, wie es denn mit unserer eigenen Großzügigkeit bestellt ist. Geben wir gerne und oft oder bekommen wir lieber? Wem schenken wir etwas und was geben wir weiter? Mit welcher Motivation tun wir es, und welche Gefühle begleiten uns dabei?
Bemerkenswert ist, dass alle religiösen Traditionen raten, die eigene Gebefreudigkeit zu kultivieren. Sie tun es mit unterschiedlichen Begründungen, betonen aber stets deren positiven Auswirkungen - und zwar für alle Beteiligten. Dass der Beschenkte sich freut, ist unmittelbar einsichtig. Vielleicht wurde ein lang gehegter Wunsch erfüllt, vielleicht ein dringendes Bedürfnis befriedigt, oder es kam einfach zu einer kleinen Extra-Freude. Wenn auf diese Weise gar eine Kultur des Gebens entsteht, schafft das eine allgemeine Atmosphäre der Freundlichkeit und Rücksichtnahme, des Wohlwollens und der Gegenseitigkeit. Sie hebt sich damit wohltuend von dem Klima einer Gesellschaft ab, in der Ichbezogenheit und Blindheit dem Mitmenschen gegenüber herrschen und in der Neid und Geiz groß geschrieben werden.
Aber Geben ist nicht einfach Geben. Was zum Beispiel kann und will ich verschenken? Vermutlich fallen uns spontan die verschiedensten materiellen Dinge ein. Von einer Tafel Schokolade über einen Blumenstrauß, von einem neuen Handy über einen Umschlag mit Geld bis zum neuen Auto und darüber hinaus reicht die Palette.
Doch Achtung, wie steht es um die Qualität des Schenkens? Ist die immer einwandfrei? Oder gebe ich etwas in andere Hände, was ich ohnehin schon loswerden wollte? Etwas Wertloses oder Minderwertiges, das so lediglich elegant und mit einem Schein des Guten entsorgt werden kann? Außerdem: Nutzt dem Empfänger meine Gabe überhaupt? Braucht er oder sie das wirklich oder handelt es sich nur um einen schön verpackten künftigen Staubfänger oder sonst eine andere Belastung? Richten meine Geschenke unter Umständen sogar eher Schaden an statt Nutzen zu stiften? Wie bedenkenlos verfällt man einer vertrauten Konvention, Geburtstagskinder oder Jubilare beispielsweise mit Hochprozentigem jeder Art zu beschenken. Verdienen solche und ähnliche Geschenke wirklich ihren Namen?
Übrigens kann man auch und gerade nicht-materielle Dinge geben. Ich kann jemandem Zeit widmen und mein Interesse an ihm oder seinem Anliegen zeigen. Ich kann ein ermunterndes Wort sagen, wenn ich Verzagtheit sehe, eine Hilfestellung leisten, wenn jemand alleine nicht zurechtkommt. Ich kann einen Rat geben, wo guter Rat teuer ist, und Wissen oder besondere Fähigkeiten mit anderen teilen.
Geben ist nicht einfach Geben. Auch auf das Wie kommt es an, auf die Art und Weise, wie etwas seinen Besitzer wechselt. Die regelmäßig vom Konto abgebuchte Spende an eine karitative Einrichtung ist sicher Ausdruck von Solidarität und Wohlwollen. Aber nach der Erteilung des Dauerauftrages geschieht das ohne mein weiteres Zutun und damit ohne weitere innere Beteiligung. Es ist ein Unterschied, ob ich Blumen persönlich überreiche oder eine Firma beauftrage, den Strauß auszuliefern.
Es ist nicht dasselbe, ob ich gerne und mit innerer Genugtuung etwas gebe oder eher aus Pflichtgefühl; ob ich es spontan und offenen Herzens tue oder ich mich ein bisschen überwinden muss. Womöglich reut es mich danach sogar: Ach, hätte ich das doch besser behalten! Geben ist kein mechanischer oder äußerlicher Vorgang, sondern zuallererst eine Herzensangelegenheit.
Ein genauerer Blick zeigt schnell, wie unterschiedlich, wechselhaft und widersprüchlich menschliche Gemütslagen sein können. Oft sind Motive und Regungen in uns so flüchtig und subtil, dass wir sie vielleicht selbst gar nicht mitbekommen.
Wir entschließen uns, nach einer Naturkatastrophe mit einer namhaften Spende zu helfen. Doch dient sie vielleicht ebenfalls dazu - ohne dass wir uns darüber im Klaren sind -, das schlechte Gewissen zu beruhigen und den eigenen Lebensgenuss nicht beeinträchtigen zu lassen. Oder nehmen wir gerne den Dank für unsere Tat entgegen und spekulieren wir darauf, dass womöglich unser Name in der Zeitung steht? Mancher geht an einem Bettler „selbstverständlich" nicht vorbei und wirft eine Münze in seinen Hut. Doch er tut es achtlos und ohne Anteilnahme, gönnerhaft und von oben herab. Zum Glück bin ich den los! Bin ich nicht ein toller Mensch? Oder: Wir sind spendabel, aber lassen uns unbemerkt von Sympathie und Antipathie lenken. Für Freunde und Nahestehende sind unsere Hände offen, Fremden und Unbequemen gegenüber bleiben sie verschlossen. Und zu guter Letzt: Schon die Römer kleideten eine alte Erfahrung in ein Sprichwort: do ut des - ich gebe, damit ich etwas bekomme. Großzügigkeit wird so zu einem lohnenden Geschäft mit einem erhofften guten Ausgang.
Wie dem auch sei, Großzügigkeit trägt in jedem Fall gute Früchte - für den Beschenkten allemal. Betrachten wir aber auch einmal die positiven Auswirkungen für den Schenkenden selbst. Der geht nämlich keineswegs leer aus, und er profitiert umso mehr, je reiner und selbstloser seine Motivation ist.
Es ist kein Geheimnis, dass Freude machen Freude macht. Wer etwas mit Wohlwollen gibt, bekommt im selben Moment schon etwas zurück. Auch wenn das nicht beabsichtigt ist. Wer bei seinem Gegenüber ein Lächeln hervorruft, lächelt unversehens mit. Ja, was heißt im selben Moment etwas zurückzubekommen? Vorfreude und spätere innere Genugtuung über das Getane verbessern die „Bilanz" noch einmal. Ein kurzer Vers des BUDDHA drückt diese Wahrheit kurz und klar aus:
Wenn vor dem Geben man sich freut,
und heitren Sinns ist, wenn man gibt,
und nach dem Geben glücklich ist,
so ist das Geben ein Gewinn.
(Anguttara Nikaya 6,37 - Übersetzung: Nyanatiloka/Nyanaponika)
Diese wohltuende Rückwirkung kann eine Ermutigung für eine tief greifende innere Wandlung sein. Die Übung in Großzügigkeit - und Geben ist tatschlich eine Übung -verändert den Gebenden in dem Maße, wie seine großzügige Haltung weit und ganz selbstverständlich wird. Mit der Praxis des Gebens mindert sich jede Egozentriertheit. Mit ihr gelingt es uns schrittweise, den „anderen", den Mitmenschen mit seinen Interessen, Bedürfnissen und Wünschen erst deutlicher wahr- und bald gleich wichtig zu nehmen. Am Ende ist das Ergebnis überraschend: Wir tragen die Last an unserem eigenen Ich viel leichter als vorher. Wir erkennen, wie sehr ein kleines, auf sich allein bezogenes und eigensüchtiges Ego nichts als Probleme schafft. Und uns wird ersichtlich, wie sehr das Überwinden von Ich-Du-Grenzen für alle Beteiligten zum Segen wird. Geben ist dafür der Anfang.
Nach einem Vortrag in NDR Info: Aus der Sendereihe Religionsgemeinschaften - Buddhisten, am Sonntag, 6.7.2014, 7.15 bis 07.30 Uhr; gelesen von Kornelia Paltins. - Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2014