„Es gibt fünf grundlegende Erlebensformen: die ‘Hölle', das ‘Tierreich', das ‘Gespensterreich', die ‘Menschenwelt' und die ‘Götterwelt'. Diese grundlegenden Erlebensformen kenne ich, und ich kenne auch die Wege, die (nach dem Tode) zu ihnen führen."
(Mittlere Sammlung der Lehrreden des Buddha, Nr. 12)
Menschliches Leben kennen wir aus eigener Anschauung. Die verschiedenen über- und untermenschlichen Existenzweisen gehören dagegen nicht zu unserem unmittelbaren Erfahrungsbereich und gelten vielen - auch Buddhistinnen und Buddhisten - als Glaubenssache oder gar als Fantasieprodukte. Eine fünfte von Buddha genannte Lebensform ist uns wieder sehr vertraut: die des Tieres. Es ist Mitwesen unserer Sphäre und gehört fest zu unserem Alltag. Gerade diese Nähe macht aber das Verständnis der tatsächlichen Lebenssituation des Tieres und dessen geistiger Verfassung oft schwer. Der verwöhnte Hund und die umsorgte Katze sind jedenfalls nicht repräsentativ. In einem Gleichnis beschreibt der Buddha das Wesen der Tierheit so:
„Da ist eine tiefe Grube voll Jauche. Auf diese Grube wandert ein in der Sonnenglut erhitzter, ausgedörrter, dürstender Mensch zu. Ein anderer scharfsichtiger Mensch, der ihn beobachtet, sagt voraus, daß jener auf seinem Weg zu einer Jauchengrube kommen wird. Und später sieht er ihn, wie er - in diese Grube gefallen - dort Not, Elend und Schmerz empfindet."
Alle empfindenden Wesen sind wie Wanderer. Auf ihrem Lebensweg sind ständig unterwegs, nirgends bleiben sie lange. Und sie sind stets auf der Suche. Sie sehnen sich nach Geborgenheit und Sicherheit, nach Glück und Zufriedenheit, nach Erfüllung und Vollkommenheit. Aber normalerweise kommen sie nie an ihr Ziel, wenigstens nicht endgültig, und immer wieder versuchen sie, es irgendwie doch noch zu schaffen. In diesem Leben oder in einem der vielen, die da noch kommen. Das meint der Buddha, wenn von der Daseinswanderung der Wesen ([samsara]) die Rede ist.
Dabei werden sie alle von ihren Wünschen und Hoffnungen, ihren Träumen und Sehnsüchten getrieben. Ein unstillbarer ‘Durst' nämlich begleitet die Wanderer nach dem Gleichnis des Erwachten. Er steht für das Verlangen nach den Tausend Sachen, die uns schön und begehrenswert erscheinen und die wir haben möchten. Die Sonnenhitze der verlockenden Welt ist es, die unsere Kehle austrocknen läßt und uns nach Abkühlung durch sinnliche Befriedigung suchen läßt.
Darin sind also alle gleich, die Menschen und die Tiere, die ‘armen Geister' und sämtliche ‘Götter' und ‘Teufel' - in ihren Hoffnungen und Erwartungen den angenehmen Dingen des Lebens gegenüber. Und die Unterschiede? Auch die nennt der Buddha. Alle sind sie durstig und erschöpft auf ihrer Wüstenwanderung, aber die „Welt" begegnet ihnen auf ganz verschiedene Weise. Unterwegs finden die einen einen großen, reichen Schatten spendenden Baum (Metapher für das Menschentum mit seinen vielen Befriedigungsmöglichkeiten), andere nur einen dürren und laubarmen Baum (Metapher für die ‘Gespensterwelt', in der Armut und Entbehrung vorherrschen). Wieder andere erreichen hingegen einen herrlichen Palast (die ‘Götterwelt' mit ihrer Pracht, mit Fülle und Genuß), während die Unglücklichsten in eine glühende Kohlengrube fallen (in die ‘Hölle', Sinnbild für ein Leben voller Qual und Schrecken).
Und was macht schließlich im Vergleich dazu das Besondere der Tierheit aus? Wie überall im Leben gibt es natürlich auch hier Bangen und Hoffen, Sehnsucht und Verlangen. Aber das Spezifische ist die geistige Beschränktheit der Tiere und die schiere Aussichtslosigkeit ihrer Situation. Die Jauchegrube ist gleichbedeutend mit üblem Geruch und Schmutz. Sie steht für die Unmöglichkeit, einen Weg der Reinigung zu gehen. Das Tier kennt keine Moral, es handelt seinen unmittelbaren Bedürfnissen gemäß und nicht nach ethischen Grundsätzen. Die trübe Brühe macht blind und orientierungslos, sie läßt nicht zu, daß der Blick klar und hell wird. Erkenntnis und Weisheit sind nicht zugänglich, der Geist bleibt dem Vordergründigen und Materiellen verhaftet. Deshalb ist kein Gefängnis ist größer als das der Tierheit, sagt der Erwachte.