Schon zu Zeiten des Buddha konnten die meisten Menschen mit der Vorstellung „Nirvana" wenig anfangen. Wie manche sagten, kam ihnen diese Aussicht auf das „Verlöschen" wie ein Abgrund vor. Besonders diejenigen, die ganz selbstverständlich an der Idee von Ich und Welt hingen, glaubten an das Ende ihrer selbst, an die Vernichtung der Welt, an den Sturz in ein ödes leeres Nichts, wenn sie davon hörten. Wie könnte etwas derartiges für jemanden anziehend sein, der doch gerade Glück und Erfüllung sucht? Begünstigt wurde dieses (Miss)Verständnis durch die häufige Beschreibung des Nirvana in Negationen. Weil es jenseits all unserer Erfahrungen liegt, verwendete der Buddha eine solche Ausdrucksweise. Alles, was wir kennen, was wir uns ausdenken und uns vorstellen können, ist es nämlich nicht.
„Es gibt, ihr Mönche, eine Stätte, wo nicht Erde ist, nicht Wasser, nicht Feuer, nicht Luft, nicht die Stufe der Raumunendlichkeit, nicht die Stufe der Erkenntnisunendlichkeit, nicht die Stufe der Nichtirgendetwasheit, nicht die Stufe von weder Vorstellen noch Nichtvorstellen, nicht diese Welt noch jene Welt, beide Mond und Sonne. Das nenne ich, ihr Mönche, nicht Kommen noch Gehen noch Stehen noch Sterben noch Geburt. Ohne Grundlage, ohne Fortgang, ohne Halt ist es. Das ist des Leidens Ende."
„Es gibt, ihr Mönche, ein Ungeborenes, Ungewordenes, nicht Gemachtes, nicht Gestaltetes. Gäbe es nicht, ihr Mönche, dies Ungeborene, Ungewordene, nicht Gemachte, nicht Gestaltete, würde für das Geborene, Gewordene, Gemachte, Gestaltete kein Ausweg zu erfinden sein. Da es aber, ihr Mönche, ein Ungeborenes, Ungewordenes, nicht Gemachtes, nicht Gestaltetes gibt, so ist für das Geborene, Gemachte, Gestaltete ein Ausweg zu erfinden."
(Udana 8,1 und 8,3; Übersetzung: Hermann Oldenberg)
Einerseits kennzeichnet der Buddha an vielen Stellen das Nirvana durch Negationen, es gibt andererseits aber auch Stellen, in denen er es positiv als das Erstrebenswerte schlechthin vorstellt. Diese „unentstandene Stätte" ist „frei von Kummer und Leidenschaft, sie ist die Aufhebung der Leidenserscheinungen, das selige Zurruhekommen der Prozesse" (Itivuttaka 43) oder auch „das sichere Eiland" (Suttanipata 1092) und „des Alters und des Todes völliges Enden" (Suttanipata 1094). Nirvana ist der einzig erstrebenswerte Ausweg aus jeglicher Unzulänglichkeit, nämlich „das Ende des Leidens" (Udana 8,1). Nachdrücklich charakterisiert der Erwachte es mit vielen positiven Worten. Es ist „die Wahrheit", „das sichere Ufer", „das unbeschreiblich Feine", „das Unverwelkliche", „die Stille", „das Unsterbliche", „das Erlesene", „der Segen", „der Frieden", das Erstaunliche", „das Einmalige", „das von aller Not Freie", „das nie krank werden kann", „das von Bedrängnis Freie", „das Reine", „die Erlöstheit", „das Eiland", „Geborgenheit", „Schutz" und „Zuflucht" (Samyutta Nikaya 43). Das Ungestaltete und Ungewordene, das Unbedingte und eigentlich Unnennbare ist die Stätte des Todlosen, weil es im Gegensatz zu unserer „Welt" drei Merkmale hat: „Kein Entstehen zeigt sich, kein Vergehen zeigt sich, keine Veränderung des Bestehenden zeigt sich" (Anguttara Nikaya 3,48). Nirvana ist das höchste Glück.
„‘Nirvana, Nirvana', so sagt man, Freund Sariputta. Was ist nun das Nirvana, Freund?" „Der Begier Ende, des Hasses Ende, der Verblendung Ende: das, mein Freund, nennt man das Nirvana."
„‘Heiligkeit, Heiligkeit', so sagt man, Freund Sariputta. Was ist nun Heiligkeit, Freund?" „Der Begier Ende, des Hasses Ende, der Verblendung Ende: das, mein Freund, nennt man Heiligkeit."
(Samyutta Nikaya 38,1 und 38,2; Übersetzung: Hermann Oldenberg; S. 304)
In diesen beiden kurzen Dialogen sind die Ursachen genannt, die den Daseins- und den Leidenskreislauf in Gang halten: Mögen, Nichtmögen und eine verzerrte Sicht der Wirklichkeit. Solange wir Zuneigung zu dem einen und Abneigung gegenüber etwas anderem haben, solange wir also zwischen „Mag ich" und „Mag ich nicht" unterscheiden, werden wir auch alles tun, um das eine zu bekommen und das andere zu verhindern. Wir sehen die Realität durch eine rosarote oder durch eine dunkle Brille und lassen uns von diesen irreführenden Bildern zu immer zu guten und zu schlechten Taten verleiten - mit allen guten und schlechten Folgen. Erst wenn Gier, Haß und Verblendung eine Ende finden, kommt der Erlebnisstrom und mit ihm alle Unzulänglichkeit zu Ende: Nirvana, das jenseits ist von Wünschen und Erleben.
(Aus einem Gespräch des Buddha mit Vaccha, einem andersgläubigen wandernden Asketen. Dieser fragt:)
„Ein Mönch, dessen Seele also erlöst ist, mein guter Gotama, zu welchem Sein gelangt er?" „Daß er zu einem Sein gelangt, Vaccha, trifft nicht zu." „So gelangt er also zu keinem Sein, Gotama?" „Daß er zu keinem Sein gelangt, Vaccha, trifft nicht zu." „So gelangt er also und gelangt nicht zu einem Sein, Gotama?" „Daß er zu einem Sein gelangt und nicht gelangt, Vaccha, trifft nicht zu." „So gelangt er weder, noch gelangt er nicht zu einem Sein, Gotama?" „Daß er weder zu einem Sein gelangt, noch nicht dazu gelangt, Vaccha, trifft nicht zu." Auf meine Frage also, Gotama, zu welchem Sein ein Mönch gelangt, dessen Seele also erlöst ist, antwortest du mir: ‘Daß er zu einem Sein erlangt, Vaccha, trifft nicht zu' ... (Ebenso werden die andern drei Fragen mit den Antworten wiederholt.) Hier ist nun mein Verständnis zu Ende, mein guter Gotama; hier gerate ich in Verwirrung. Und auch die Befriedigung, die durch die vorherige Unterredung mit dir, Gotama, in mir erweckt war, ist mir jetzt vergangen." „Da mag wohl dein Verständnis zu Ende sein, Vaccha; da magst du wohl in Verwirrung geraten. Tief, Vaccha, ist diese Lehre, schwer zu schauen, schwer zu verstehen, friedevoll, herrlich, bloßem Nachdenken unerfaßbar, fein, nur dem Weisen erkennbar. Die ist für dich schwer zu begreifen, da du andres glaubst, andres für recht hältst, andres billigst, anderswohin deine Anspannung richtest, andrer Lehrmeinung anhängst. So laß mich dich hier selbst fragen, Vaccha, Wenn vor deinen Augen ein Feuer brennte, würdest du dann erkennen: ‘Vor meinen Augen brennt dies Feuer?'" „Wenn vor meinen Augen ein Feuer brennte, mein guter Gotama, dann würde ich erkennen: ‘Vor meinen Augen brennt dies Feuer'" „Wenn man dich nun fragte, Vaccha: ‘Dies Feuer, das vor deinen Augen brennt, wodurch brennt es?' - was würdest du, Vaccha, auf diese Frage antworten?" „Wenn man mich fragte, Gotama, so würde ich auf diese Frage antworten: ‘Dies Feuer, das vor meinen Augen brennt, es brennt durch Brennstoff von Gras und Holz.'" „Wenn dann dies Feuer vor deinen Augen erlöschte, würdest du dann erkennen: ‘Dies Feuer ist vor meinen Augen erloschen?'" „Wenn vor meinen Augen dies Feuer erlöschte, dann würde ich erkennen: ‘Vor meinen Augen ist dies Feuer erloschen.'" „Wenn man dich dann aber fragte, Vaccha: ‘Das Feuer, das vor deinen Augen erloschen ist, nach welcher Himmelsrichtung ist es von hier gegangen, nach Osten oder Westen oder Norden oder Süden?' - was würdest du auf diese Frage antworten?" „Ich würde antworten, daß eine solche Frage nicht die Sache trifft, mein guter Gotama. Denn wenn das Feuer den Brennstoff, durch den es brannte, das Gras und Holz verzehrt hat und keine neue Nahrung erhält, so wird es als erloschen erkannt." „Ebenso nun auch, Vaccha, die Körperlichkeit (die Empfindungen, Vorstellungen, Gestaltungen, das Erkennen), durch welche man die Vollendeten kennzeichnen möchte: Diese Körperlichkeit des Vollendeten ist dahinten geblieben. Ihre Wurzeln sind zerstört, sie ist gleich einem Palmbaum ausgerodet, sie ist der Vernichtung überantwortet, so daß sie in Zukunft nicht neu entstehen kann. Von der Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der Körperlichkeit, Vaccha, ist der Vollendete erlöst. Er ist tief, unendlich, unergründlich, wie der große Ozean. Daß er zu keinem Sein gelangt, trifft nicht zu. Daß er zu einem Sein gelangt und nicht gelangt, trifft nicht zu. Daß er weder zu einem Sein gelangt, noch nicht dazu gelangt, trifft nicht zu."
(Majjhima Nikaya 72; Übersetzung: Hermann Oldenberg; S. 296 f)
Der Zustand der höchsten und letzten Befreiung ist begrifflichem Denken nicht zugänglich. Hier versagen die üblichen Kategorien, mit denen wir die Wirklichkeit ordnen und uns verständlich machen. Vor allem ein Denkmuster ist nicht länger anwendbar, auf das wir sonst wie selbstverständlich zurückgreifen. Für den gewöhnlichen Geist haben die Dinge vier mögliche Grundeigenschaften: Es gibt sie; es gibt sie nicht; es gibt sie sowohl als auch nicht; weder gibt es sie, noch gibt es sie nicht. Was davon trifft nun auf diejenigen zu, die wie der Buddha Nirvana erlangt haben? Die Antwort haben wir gerade gelesen. Vacchagotta, ein Anhänger einer nichtbuddhistischen Schule, will etwas über den Seinszustand eines Befreiten nach dem Tod wissen. Der Buddha kann ihm aber nur antworten: Weltliche Erscheinungen kann man beschreiben, und ihre Ursachen kann man benennen. Wo aber alle Ursächlichkeit restlos aufgehoben ist, bleibt nichts Erfahrbares und Denkbares. Wie ein Feuer, wenn es aus Brennstoffmangel verlischt, nicht länger fassbar ist, so ist auch ein „ins Nirvana Eingegangener" nicht fassbar, wenn die früheren körperlichen und geistigen Prozesse zum Stillstand gekommen sind.
Also habe ich gehört. Einstmals weilte der Erhabene zu Savatthi, im Jetavana, dem Garten des Anathapindika. Zu der Zeit nun wohnte Bahiya Daruciriya zu Supparaka am Ufer des Meeres. Er wurde mit Aufmerksamkeit behandelt, hochgehalten, geachtet, geehrt, wertgeschätzt, und empfing reichlich, was er bedurfte: Gewänder, Almosenspeise, Lager und Sitz, Arznei für Krankheitsfälle. Während nun Bahiya Daruciriya in der Einsamkeit und Zurückgezogenheit verweilte, erhob sich in seinem Geist der Gedanke: „Die in der Welt heilig sind oder den Pfad zur Heiligkeit betreten haben, zu denen gehöre auch ich." Eine Gottheit aber, die in früherem Dasein dem Bahiya Daruciriya blutsverwandt gewesen war, Mitleid mit ihm fühlend und auf sein Heil bedacht, erkannte in ihrem Geist den Gedanken, der sich im Geist des Bahiya Daruciriya erhoben hatte. Sie ging zu Bahiya Daruciriya hin und sprach zu ihm: „Du bist kein Heiliger, Bahiya, und hast den Pfad zur Heiligkeit nicht betreten; auch übst du keinen Wandel, durch den du ein Heiliger werden oder den Pfad zur Heiligkeit betreten könntest." „Wer ist denn aber nun in der Welt samt dem Götterreich heilig oder hat den Pfad zur Heiligkeit betreten?" „Im nördlichen Lande, Bahiya, liegt eine Stadt mit Namen Savatthi. Dort weilt jetzt der Erhabene, der heilige, höchste Buddha. Er, der Erhabene, Bahiya, ist heilig und verkündet die Lehre, die zur Heiligkeit führt." Durch dieses Wort der Gottheit geriet Bahiya Daruciriya in Erregung und machte sich alsbald von Supparaka auf, und indem er sich überall nur eine Nacht aufhielt, gelangte er dahin, wo der Erhabene zu Savatthi, im Jetavana, dem Garten des Anathapindika, verweilte. Dort wandelte gerade eine Anzahl von Mönchen unter freiem Himmel auf und ab. Da ging Bahiya Daruciriya zu den Mönchen hin und sprach zu ihnen: „Wo weilt jetzt, ihr Herren, der Erhabene, der heilige, höchste Buddha? Uns verlangst danach, den Erhabenen zu sehen, den heiligen, höchsten Buddha." „Der Erhabene, Bahiya, ist zu den Häusern hineingegangen, um Almosen zu sammeln." Da verließ Bahiya Daruciriya eilends das Jetavana, ging nach Savatthi hinein und sah den Erhabenen, wie er Almosen sammelte, gewinnend und wohlgefällig anzusehen mit gezügelten Sinnen und befriedetem Geist, zu höchster Selbstbezwingung und Frieden durchgedrungen, selbstbezwungen, wohlbehütet, mit befriedeten Sinnen, einem Elefanten gleich. Wie er ihn sah, ging er zu dem Erhabenen hin, fiel vor ihm nieder, das Haupt zu seinen Füßen neigend und sprach zum Erhabenen: „Möge mir, Herr, der Erhabene die Lehre verkünden! Möge der Wohlwandelnde mir die Lehre verkünden, daß es mir für gar lange Zeit zum Segen und zur Freude gereiche!" Als er so sprach, sagte der Erhabene zu Bahiya Daruciriya: „Jetzt ist dazu nicht die Zeit, Bahiya. Wir sind hier zu den Häusern hereingegangen, Almosen zu sammeln." Da sprach Bahiya Daruciriya zum zweitenmal zum Erhabenen: „Man kann nicht wissen, Herr, was dem Leben des Erhabenen zustoßen kann, oder was meinem Leben zustoßen kann. Möge mir, Herr ... zur Freude gereichen!" (Dieselbe Ablehnung; dritte Bitte wie die zweite.) „So mögest du denn, Bahiya, dich in dieser Betrachtung üben: ‘Siehst du, so kann das nur Sehen sein. Hörst du, so kann das nur Hören sein. Denkst du, so kann das nur Denken sein. Erkennst du, so kann das nur Erkennen sein. In dieser Betrachtung, Bahiya, mußt du dich üben. Und wenn es beim Sehen, Bahiya, für dich nur Sehen gibt, und beim Hören für dich nur Hören gibt, und beim Denken für dich nur Denken gibt, und beim Erkennen für dich nur Erkennen gibt, dann bist du, Bahiya, nicht hier; wenn du nicht hier bist, Bahiya, dann bist du, Bahiya, nicht hienieden, nicht drüben, nicht dazwischen. Das ist des Leidens Ende."
(Udana 1,10; Übersetzung: Hermann Oldenberg; S. 289 ff)
In diesem Bericht begegnet uns ein ganz außergewöhnlicher Mensch. Bei seiner allerersten Begegnung mit dem Buddha erhält Bahiya Daruciriya eine außergewöhnlich tiefe Belehrung und Übungsanleitung. Der Erwachte fordert ihn nämlich auf, bei allen Sinneswahrnehmungen einschließlich des Denkens nur auf den Akt der Wahrnehmung selbst zu achten und ihn unkommentiert vorüberziehen zu lassen. Beim Sehen gibt es lediglich das Sehen, beim Hören nur das Hören, beim Riechen, Schmecken, Tasten und Denken nur eben diese und nichts darüber hinaus. Während wir die Dinge sofort nach schön und unschön, angenehm und unangenehm bewerten, uns geistig und emotional auf sie einlassen und uns alsbald zu allen möglichen Handlungen hinreißen lassen, heißt es hier: beobachten, loslassen, nicht blind und gewohnheitsmäßig reagieren - das Rad des Werden nicht weiter anstoßen. Wer das kann, fällt nicht länger auf die Täuschung von Ich und Welt herein - und wird frei.
In diesem Punkt gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen den heute vorhandenen unterschiedlichen buddhistischen Strömungen. Der Theravada-Buddhismus stützt sich auf kanonische Aussagen wie die folgende und sagt, ein Verwirklichter in der Nachfolge eines Buddha (Arahant) unterscheide sich hinsichtlich der Erleuchtung (im Sinne von völliger Befreiung) nicht von einem Buddha (Sammasambuddha), wohl aber hinsichtlich der Höhe spiritueller Vollendung (parami), die ausschlaggebend ist für die Fähigkeit, das verloren gegangene Dhamma wiederzuentdecken, es in alles Aspekten zu verstehen und zu lehren. Viele Vertreter des Mahayana behaupten dagegen, ein Arahant sei den Weg noch nicht zu Ende gegangen und habe noch subtile Befleckungen oder Schleier.
„Meister Ananda, gibt es einen bestimmten Bhikkhu, der auf jegliche Weise all jene Eigenschaften besitzt, die Meister Gotama, der Verwirklichte und vollständig Erleuchtete besessen hatte?"
„Es gibt keinen bestimmten Bhikkhu, der auf jegliche Weise all jene Eigenschaften besitzt, die Meister Gotama, der Verwirklichte und vollständig Erleuchtete besessen hatte. Denn der Erhabene war derjenige, der den noch nicht entstandenen Pfad entstehen ließ, der den noch nicht bereiteten Pfad bereitete, der den noch nicht verkündeten Pfad verkündete; er war derjenige, der den Pfad kannte, der den Pfad fand, der im Pfad kundig war. Aber seine Schüler verweilen jetzt, indem sie jenem Pfad folgen und ihn anschließend innehaben."
(Aus dem Gopakamoggallana Sutta, Majjhima Nikaya 108; Übersetzung aus dem Englischen: Kay Zumwinkel)
„Der Bhikkhu versteht: ‘Wenn ich diesen Gleichmut, der so geläutert und strahlend ist, auf das Gebiet der Raumunendlichkeit, der Bewußtseinsunendlichkeit, der Nichtsheit, auf das Gebiet von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung ausrichten würde, und meinen Geist dementsprechend entfalten würde, dann wäre dies gestaltet.' Er formt keinerlei Bedingung und erzeugt keinerlei Willensregung in Richtung Werden oder Nicht-Werden. Weil er keinerlei Bedingung formt und keinerlei Willensregung in Richtung Werden oder Nicht-Werden erzeugt, haftet er an nichts in der Welt an. Wenn er nicht anhaftet, ist er nicht aufgeregt. Wenn er nicht aufgeregt ist, erlangt er persönlich Nibbana. Er versteht: ‘Geburt ist zu Ende gebracht, das heilige Leben ist gelebt, es ist getan, was getan werden mußte, darüber hinaus gibt es nichts mehr.'"
„Wenn er ein angenehmes Gefühl fühlt, versteht er: ‘Es ist vergänglich, es gibt kein Festhalten daran; darin ist nichts Ergötzliches zu finden.' Wenn er ein schmerzhaftes Gefühl fühlt, versteht er: ‘Es ist vergänglich, es gibt kein Festhalten daran; darin ist nichts Ergötzliches zu finden.' Wenn er ein weder-schmerzhaftes-noch-angenehmes Gefühl fühlt, versteht er: ‘Es ist vergänglich, es gibt kein Festhalten daran; darin ist nichts Ergötzliches zu finden.'"
„Wenn er ein angenehmes Gefühl fühlt, fühlt er es als Losgelöster; wenn er ein schmerzhaftes Gefühl fühlt, fühlt er es als Losgelöster; wenn er ein weder-schmerzhaftes-noch-angenehmes Gefühl fühlt, fühlt er es als Losgelöster. (...) Bhikkhu, so wie eine Öllampe in Abhängigkeit von Öl und einem Docht brennt und erloschen ist, falls sie keinen weiteren Brennstoff bekommt, sobald das Öl und der Docht verbraucht sind; genauso, wenn er ein Gefühl fühlt, das zusammen mit dem Körper aufhört, versteht er: ‘Ich empfinde ein Gefühl, das zusammen mit dem Körper aufhört.' Wenn er ein Gefühl fühlt, das zusammen mit dem Leben aufhört, versteht er: ‘Ich empfinde ein Gefühl, das zusammen mit dem Leben aufhört.' Er versteht: ‘Bei der Auflösung des Körpers, mit dem Ende des Lebens, wird alles, was gefühlt wird, an dem man sich nicht ergötzt, auf der Stelle kühl werden.'"
„Daher, ein Bhikkhu, der diese Weisheit besitzt, besitzt die höchste Grundlage der Weisheit. Denn dies, Bhikkhu, ist die höchste edle Weisheit, nämlich das Wissen von der Vernichtung von allem Dukkha."
„Seine Befreiung, die auf der Wahrheit gegründet ist, ist unerschütterlich. Denn jenes ist unecht, Bhikkhu, was eine trügerische Natur hat, und jenes ist echt, was eine untrügerische Natur hat - Nibbana. Daher, ein Bhikkhu, der diese Wahrheit besitzt, besitzt die höchste Grundlage der Wahrheit. Denn dies, Bhikkhu, ist die höchste edle Wahrheit, nämlich Nibbana, das eine untrügerische Natur hat."
„Früher, als er unwissend war, erwarb und entwickelte er Vereinnahmungen; Jetzt sind jene von ihm überwunden worden, an der Wurzel abgeschnitten worden, einem Palmstumpf gleichgemacht worden, beseitigt worden, so daß sie künftigem Entstehen nicht mehr unterworfen sind. Daher, ein Bhikkhu, der diesen Verzicht besitzt, besitzt die höchste Grundlage des Verzichts. Denn dies, Bhikkhu, ist der höchste edle Verzicht, nämlich das Loslassen aller Vereinnahmungen."
„Früher, als er unwissend war, erlebte er Habgier, Gier und Begierde; jetzt ist jenes von ihm überwunden worden, an der Wurzel abgeschnitten worden, einem Palmstumpf gleichgemacht worden, beseitigt worden, so daß es künftigem Entstehen nicht mehr unterworfen ist. Früher, als er unwissend war, erlebte er Zorn, Übelwollen und Haß; jetzt ist jenes von ihm überwunden worden, an der Wurzel abgeschnitten worden, einem Palmstumpf gleichgemacht worden, beseitigt worden, so daß es künftigem Entstehen nicht mehr unterworfen ist. Früher, als er unwissend war, erlebte Unwissenheit und Verblendung; jetzt ist jenes von ihm aufgegeben worden, an der Wurzel abgeschnitten worden, einem Palmstumpf gleichgemacht worden, beseitigt worden, so daß es künftigem Entstehen nicht mehr unterworfen ist. Daher, ein Bhikkhu, der diesen Frieden besitzt, besitzt die höchste Grundlage des Friedens. Denn dies, Bhikkhu, ist der höchste edle Frieden, nämlich die Befriedung von Begierde, Haß und Verblendung."
(...)
„Bhikkhu, ‘Ich bin' ist eine Vorstellung; ‘Ich bin dies' ist eine Vorstellung; ‘Ich werde sein' ist eine Vorstellung; ‘Ich werde nicht sein' ist eine Vorstellung; ‘Ich werde Form besitzen' ist eine Vorstellung; ‘Ich werde formlos sein' ist eine Vorstellung; ‘Ich werde wahrnehmend sein' ist eine Vorstellung; ‘Ich werde nicht-wahrnehmend sein' ist eine Vorstellung; ‘Ich werde weder-wahrnehmend-noch-nicht-wahrnehmend sein' ist eine Vorstellung. Vorstellung ist eine Krankheit, Vorstellung ist ein Geschwür, Vorstellung ist ein Stachel. Indem man alle Vorstellung überschreitet, Bhikkhu, wird man ein Weiser im Frieden genannt. Und der Weise im Frieden ist nicht geboren, er altert nicht, stirbt nicht; er wird nicht erschüttert und hat keine Sehnsucht. Denn da ist nichts in ihm gegenwärtig, wodurch er geboren werden könnte. Nicht geboren, wie könnte er da altern? Nicht alternd, wie könnte er da sterben? Nicht sterbend, wie könnte er da erschüttert werden? Nicht erschüttert, wie könnte er da Sehnsucht haben?"
„Also geschah es in Bezug auf dieses, daß gesagt wurde: ‘Die Fluten der Vorstellung spülen über einen, der auf diesen Grundlagen steht, nicht mehr hinweg, und wenn die Fluten der Vorstellung nicht mehr über ihn hinwegspülen, dann wird er ein Weiser im Frieden genannt.'"
(Text nicht identisch mit der gedruckten Fassung - Lotusblätter 1/2000 - Zusammen mit Kay Zumwinkel)