Den meisten Menschen geht es in einer Hinsicht wie Payasi. Ihnen sind Transzendenz-Erfahrungen fremd. Das Jenseits ist für sie bestenfalls Glaubenssache, nicht Teil einer Welt, die man kennt, in der man sich bewegt und zu Hause ist. Andererseits berührt sie die Frage in aller Regel nicht tief genug, um zu einer intensiven und systematischen Untersuchung anzuspornen, wie wir sie eben kennengelernt haben.
Um so bedauerlicher ist dann ein Bemühen, das von Offenheit geprägt und von der richtigen Motivation geleitet ist, aber fehlgeht, weil die verwendete Methode ungeeignet ist und dem Gegenstand nicht entspricht. Tragisch fast ist ein solches Vorgehen deshalb, weil das Suchen in der falschen Richtung ergebnislos bleiben wird, auch wenn der gesuchte Gegenstand existiert. Wären Payasis Erkenntnisvoraussetzungen und vor allem seine falschen Schlüsse nicht im Gespräch mit Kumarakassapo korrigiert worden, hätte gerade eine „wissenschaftliche" Betrachtungsweise zum „Beweis" der Nichtexistenz des Jenseitigen geführt. Mit allen praktischen Konsequenzen.
Unsere vertraute Welt ist die der sinnlichen Wahrnehmung. Wir leben mit und von den Objekten in Raum und Zeit. Wir sehen Formen und Farben, wir hören die Töne der Umgebung, riechen ihre Düfte. Wir schmecken das Schmeckbare und tasten, was fest ist und dem Greifen Widerstand bietet. Die Sinnesorgane sind die Mittler. Über ihre Bahnen kommen die Eindrücke eines „Außen" zu einem „Innen". Auge und Ohr, Nase und Zunge sowie der ganze empfindungsfähige Körper sind die Instrumente der Kontaktaufnahme.
Aus den einzelnen Sinneseindrücken wird jedoch nur dann eine „Welt", ein geordnetes Gesamtbild von Wirklichkeit, wenn der Geist die chaotische Vielfalt der einzelnen Sinnesdaten zu einem strukurierten sinnvollen Ganzen zusammenfügt. Nur das Gesehene, Gehörte, Gerochene, Geschmeckte und Getastete zusammen machen Gegenstände aus, die wir im Raum ausgebreitet finden und denen wir Bezeichnungen und Bedeutungen geben.
Es wäre allerdings ein entscheidenden Fehler, würde man diese Aussage aus einer einfältigen Weltgläubigkeit heraus mißdeuten. Da „draußen" gibt es nicht eine „objektive" Realität, die unabhängig von uns einfach „da" ist. Wir haben nach dem Buddha nicht Wahrnehmung von der Welt, weil sich ihre Gegenstände gewissermaßen über die Sinnesorgane in unser Bewußtsein drängen und dort ein mehr oder weniger getreues Abbild hinterlassen. Sehen gibt es nach der buddhistischen Psychologie nur dann, wenn im Auge gleichermaßen der Drang nach Sehen vorhanden ist und eine entsprechende Sehfähigkeit. Gehört wird nur, weil dem Hörorgan der Wunsch nach Tönen und die notwendige Hörfähigkeit innewohnt. Riechen, Schmecken und Tasten erfolgen nur soweit, als in den jeweiligen Sinnesorganen das Bedürfnis nach Tönen, Säften und Tastbarem steckt und zugleich die Befähigung zu dieser Art von Wahrnehmung.
Es ist kaum notwendig hervorzuheben, daß das gleiche auch für das Denkorgan gilt. Nur weil auch ein Wille zur Erkenntnis existiert, gibt es Verstehen, Orientierung, Denken. Und nicht, weil besondere biochemische Prozesse innerhalb des Gehirns Bewußtsein und Wissen hervorbringen.
Genau besehen, läßt die Lehre des Buddha keinen Raum für einen naiven Realismus, der von der Objektivität von Ich und Welt in einem (unkritisch) naturwissenschaftlichen Sinne ausgeht. Wo Wahrnehmung stattfindet, ist dies weniger auf äußere Faktoren zurückzuführen als auf „subjektive" Momente. Innere Antriebe und Neigungen lassen nach Sinneseindrücken suchen, so daß die Sinnesorgane für sie eigentlich bloße Werkzeuge sind; materielle Hilfsmittel in einer dinglichen Welt für die wahrnehmungsbedürftige und auch wahrnehmungsfähige Psyche.
Wir werden im nächsten Kapitel sehen, was es mit den äußeren Phänomenen des Daseins auf sich hat, woher sie kommen und warum sie so sind, wie sie gerade sind. Für jetzt ist festzuhalten, daß Welterlebnis nur sein kann, soweit Wille dazu vorhanden ist. Das bedeutet zugleich, daß Art und Umfang der Bewußtwerdung immer abhängig sind von der geistig-seelischen Beschaffenheit der Wesen. Das Sehen-Wollen bestimmt weitgehend das Sehen selbst. Der Erlebnisdrang der Psyche diktiert das Hören, Riechen, Schmecken und Tasten, er gibt dem Denken, Erkennen und Verstehen Richtung und Form. Er ist die meist übersehene Hauptquelle der Realitätserfahrung.
Haben wir einen differenzierten Geist mit vielerlei Anliegen und Wünschen, ist das Erlebte entsprechend vielgestaltig und bunt. Bleibt unsere Motivstruktur schlicht und begrenzt, sind es die Sinneseindrücke und unsere Denkmuster ebenfalls. Sind die Tendenzen der Psyche grob und derb, können die aufkommenden Bewußtseinsinhalte nicht subtil sein. Und je fixierter und starrer schließlich die seelischen Tendenzen sind, um so unwandelbarer, stabiler und solider müssen ihnen die Daseinserscheinungen gegenüberstehen.
Daraus ergeben sich sehr weitreichende Konsequenzen für die Frage nach der Erlebnismöglichkeit des Jenseits. Die angedeuteten Zusammenhänge erklären, warum für die meisten von uns Transzendenz-Erfahrungen faktisch ausgeschlossen sind: Unser Wollen ist so selbstverständlich, so unbeirrt und ausschließlich auf die grobstoffliche materielle Welt gerichtet, daß wir für alles andere nicht sensibel genug sind. Mit den uns umgebenden Dingen, Menschen und Ereignissen verbinden uns so starke Interessen, daß sie uns eben dadurch zur ausschließlichen Wirklichkeit werden. Die innige Verflechtung mit der Alltagsrealität und die blinde Identifikation mit dem uns Vertrauten blenden alle anderen potentiellen Erlebnisbereiche aus. Das führt schließlich dahin, daß wir die tatsächlich und oft gemachten Erfahrungen mit den Erfahrungsmöglichkeit überhaupt verwechseln. Wir leben in einer geradezu neurotischen, wahnhaften Verengung unseres Blickes. Und dieser Realitätsverlust geht irgendwann so weit, daß man sich aus dieser Gebundenheit an das „Irdische" das „Jenseits" nicht einmal mehr vorstellen kann.
Dabei ist das „Transzendente" keineswegs fern, es beginnt gewissermaßen vor unseren Augen. Transzendent ist im Grunde schon alles, was die übliche Reichweite unserer Sinne übersteigt. Wie relativ Diesseits und Jenseits sind, zeigt bereits ein Vergleich der Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen untereinander bei den gleichen Objekten der Umwelt. Was für den einen unter der Wahrnehmungsschwelle liegt, liegt für den anderen darüber. Noch deutlicher wird das im Vergleich mit dem Tier. Töne ab einer bestimmten hohen Frequenzen sind für den Menschen nicht mehr hörbar, für ihn also sinnestranszendent, für den Hund beispielsweise nichts besonderes und Teil seiner Erlebniswelt. Wollten wir solche Töne für nicht existent oder gar für unmöglich erklären, bloß weil sie uns nicht zugänglich sind? Wollten wir etwa das von den Bienen registrierte Farbspektrum für irreal halten, nur weil das menschliche Auge es nicht erfassen kann? Sicher nicht, denn es gibt diese subjektiven Erlebensmöglichkeiten und ihre äußeren Entsprechungen. Es gibt sie, physikalisch betrachtet, auf einer anderen Schwingungsebene, so wie es darüber hinaus Radiowellen, atomare Strahlungen und eine Vielzahl weiterer energetischer Impulse gibt, von denen wir nur indirekt durch technische Meßinstrumente Kenntnis haben.
Wie kann man da die Realität des (nachtodlichen) „Jenseits" kategorisch leugnen, bloß weil es nicht in der gleichen „Nähe" zu dem menschlichen Alltagsbewußtsein zu finden ist wie die eben genannten Phänomene und wir (noch?) keine brauchbaren Apparaturen für ihren unwiderleglichen Nachweis besitzen? Und weil sie nicht nur Erscheinungen der unbelebten Natur, sondern auch lebende Wesen einschließt, die gleicherweise in einer anderen energetischen Dimension zu Hause sind?
Die Unfähigkeit zur Transzendenz-Erfahrung - vor allem im letzten Sinn - ist aber keineswegs absolut, sie ist geworden und damit bedingt. Wie alle menschlichen Eigenschaften ist sie erworben und kann deshalb überwunden werden. Es war schon davon die Rede, daß die Fixierung des Geistes die Inhalte unseres Bewußtseins beeinflußt und sich mit der Auflösung dieser geistigen Unbeweglichkeit auch der Erfahrungshorizont weitet. Die Gewöhnung an eine grobe sinnliche Weltwahrnehmung bindet an sie und verhüllt alle subtilen Formen von Realität. Die Entwöhnung von ihr befreit und eröffnet neue Möglichkeiten. Wer starr nach vorne schaut, kann nur sehen, was unmittelbar vor Augen liegt. Man muß den Kopf herumdrehen, um die ganze Fülle der Tatsachen zu bemerken. In einer Unterredung mit Sakuludayi, einem bekannten und gelehrten Zeitgenossen, betont der Buddha sogar, daß der Abbau der Beschränktheit unserer Erlebensfähigkeit sogar zu den zwangsläufigen Ergebnissen des buddhistischen Übungsweges gehört. Neben vielen anderen positiven Auswirkungen der von ihm gelehrten spiritueller Praxis weitet sich das Feld des Gewahrseins unausbleiblich.
Darüber hinaus, Udayi, habe ich meinen Schülern die Wege gezeigt, auf denen sie mit dem himmlischen Gehör, dem geklärten, menschliche Fähigkeiten übersteigenden, beide Arten Töne hören, die himmlischen und die menschlichen, die fernen und die nahen.
(M 77, in Anlehnung an Dahlke)
Hier wird wie selbstverständlich und sehr bestimmt ausgesprochen, daß die Fähigkeit des Hörens nicht immer an grob-materielle Bedingungen geknüpft ist. Lufterzeugte Schallwellen und ein Ohr aus Fleisch und Blut mögen bei dem normalen Menschen Voraussetzungen für ihre Tonwahrnehmung sein, sie sind es aber nicht für das Hören schlechthin. Es gibt nach der Aussage des Buddha ein „himmlisches Gehör", das jenseits davon funktioniert. Das gleiche gilt für das Sehen, für das wir Linse und Netzhaut benötigen und das von den Gegenständen reflektierte Licht. Aber Sehen ist nicht auf diese physikalisch definierte Weise beschränkt. Das „himmlische Auge" braucht weder das eine noch das andere und liefert doch Einblicke in die Realität. Weitgehende Einblicke, wie das gleich folgende Zitat belegt. Das himmlische Auge sieht nämlich nicht nur räumlich weit entfernte Gegenstände oder uns sonst verborgene Ereignisse. Bei einem bestimmten Entwicklungsgrad ist es sogar in der Lage, den nachtodlichen Gang der Gestorbenen unmittelbar zu verfolgen. Dem Betrachter wird das Geborenwerden, Sterben und Wiedergeborenwerden der Wesen (nach dem karmischen Gesetz beziehungsweise nach ihrem Handeln) zum anschaulichen Erlebnis.
Darüber hinaus habe ich meinen Schülern die Wege gezeigt, auf denen sie in vielfacher Weise mit dem himmlischen Auge, dem geklärten, menschliche Fähigkeiten übersteigenden, die Wesen sehen, wie sie verschwinden und wiedererscheinen.
(a.a.O.)
Es gibt eine seelische Verfassung, in die man hineinwachsen kann und die völlig neue Erfahrungshorizonte eröffnet - bar aller Phantasie und Träumereien. Der Buddha selbst hat sie am Ende seines langen Weges der Befreiung erlangt und anderen gelehrt. Die scheinbar so starren Grenzen zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt werden durchlässig, ungekannte Formen des Erkennens und Erlebens tun sich auf, beide Sphären werden für den Sensibilisierten zugänglich und gleichermaßen Realität. Jenseits wird Diesseits und Diesseits Jenseits, je nach der aktuellen Perspektive. Das jedoch setzt die Umgestaltung der Persönlichkeit voraus und eine andere Lebensweise als die für uns übliche. Über solche inneren Wandlungsprozesse und ihre Folgen informiert uns der Palikanon an verschiedenen Stellen.
In einer Unterredung mit dem Buddha berichten die schon fortgeschrittenen Mönche Anuruddho, Nandiyo und Kimbilo über ihre Bemühungen um geistige Vertiefung und meditative Sammlung. Sie haben erste Erfolge, aber sie stoßen noch an enge Grenzen und kommen an einem bestimmten Punkt nicht weiter. Deshalb suchen sie Rat, um den einer von ihnen, Anuruddho, den Erwachten bittet:
„Da nehmen wir, o Herr, während wir unermüdlich, eifrig, zielbewußt weilen, Lichterscheinung wahr und eine Andeutung von Formen; aber diese Lichterscheinung und die Andeutung von Formen entschwindet uns bald wieder und dieses Zeichen meistern wir nicht."
„Dieses Zeichen, Anuruddha, müßt ihr eben meistern! Auch ich habe vor der vollen Erwachung, als noch nicht Vollerwachter, als Bodhisatta, die Lichterscheinung wahrgenommen und die Andeutung von Formen; aber diese Lichterscheinung und die Andeutung von Formen ist mir bald wieder entschwunden. Da kam mir der Gedanke: ‘Was ist wohl der Grund, was ist die Veranlassung, daß mir diese Lichterscheinung entschwindet und die Andeutung von Formen?' Da kam mir der Gedanke: ‘Zweifel ist in mir aufgestiegen; Zweifel war die Ursache, daß Vertiefung mir verloren ging. Weil die Vertiefung verloren ging, entschwand die Lichterscheinung und die Andeutung von Formen; ich muß mich also so einrichten, daß Zweifel mir nicht wieder aufsteigen wird.'"
(M 128, nach Dahlke)
Der Buddha bestätigt seinen drei Schülern, daß auch er auf dem Weg zu seiner Erwachung die gleichen Entwicklungsschritte durchlaufen hat. Er weiß daher um die notwendigen Bedingungen und die möglichen Hindernisse für diesen Transformationsprozeß. Die wichtigsten Voraussetzungen sind schon in dem Gespräch mit den Mönchen zum Ausdruck gekommen, das der zitierten Passage bereits vorangegangenen ist. Noch vor ihrem aktuellen Problem haben sie einige grundsätzliche Dinge besprochen, die für das Thema von Bedeutung und für das Verständnis wichtig sind.
Ihr Lehrer hat die drei nach der Begrüßung zu verschiedenen Aspekten ihrer gegenwärtigen Lebensumstände befragt und jedesmal eine positive Antwort bekommen. Alle können berichten, daß die materiellen Voraussetzungen für ihr Mönchsdasein befriedigend sind. Vor allem herrscht kein Mangel bei Essen und Trinken und bei der Versorgung mit den sonstigen Bedarfsgegenständen. Damit ist die körperliche Gesundheit und Ausgeglichenheit als eine der Grundvoraussetzungen für die spirituelle Entwicklung genannt. Mangelhafte Ernährung, körperliche Schwäche oder Krankheiten können große Hemmnisse sein. Hier sind sie glücklicherweise nicht vorhanden. Aber nicht nur das. Das Zusammenleben von Anuruddho, Nandiyo und Kimbilo gestaltet sich auch auf der persönlichen Ebene einwandfrei. Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen sind harmonisch, sie kommen ohne Streitigkeiten miteinander aus und verhalten sich rücksichtsvoll und zuvorkommend. Es bestehen keine Interessengegensätze und Meinungsverschiedenheiten. Gegenseitige Vorbehalte und Gefühle der Abneigung oder gar der Aggression sind ihnen fremd. Das bedeutet in unserem Zusammenhang: Wer zu stark in äußerem Zwiespalt lebt, in sozialen Beziehungen voller Spannungen und Auseinandersetzungen, wer mit der Welt im Zwist liegt, der wird das Ziel nicht erreichen. Er bleibt dem Vordergründigen und Alltagsmäßigen, dem Banalen und Unwürdigen verhaftet. Er kann den Übertritt in eine andere geistige Dimension nicht schaffen. Für die drei Freunde besteht dieses Problem nicht. Der Buddha hört von den Mönchen weiter, daß die Erfordernisse des Alltages ohne große Mühen und Aufregungen erfüllt werden und deshalb genügend Zeit für Fragen der Lehre und die spirituelle Praxis bleibt. Ihre Kräfte werden nicht für unnötige Dinge vergeudet.
Wir verstehen jetzt die einzelnen Voraussetzungen und Entwicklungsschritte für den in Frage stehenden Vorgang der Öffnung. Anuruddho, Nandiyo und Kimbilo haben ihr Interesse von der „Welt" schon weitgehend abgewandt, der Umgang mit ihr ist auf ein Minimum beschränkt, die Art des Umgangs ruhig und harmonisch. Ihre Aufmerksamkeit ist nicht wie bei dem gewöhnlichen Menschen vom Wirbel des Draußen zerfahren und unstet. Die Achtsamkeit ist mehr bei ihnen selbst. Die sonst ununterbrochene, zwangsläufige äußere Weltwahrnehmung ist mehr der Beobachtung der eigenen inneren Gegebenheiten und Vorgänge gewichen. Sie ist zugleich ruhiger, konzentrierter, unabgelenkter, nicht von wechselnder sinnlicher Zuneigung oder Abneigung getrieben.
Diese grundlegende Änderung der Blickrichtung und ihre schon gewandelte geistige Verfassung lassen sie nun in der Meditation eine „Lichterscheinung" und „Andeutung von Formen" schauen - erste Bilder des Jenseits. Daß sie noch vage und hinfällig sind, hängt mit den noch verbliebenen Unvollkommenheiten des eigenen Gemütes zusammen, die jetzt zu beseitigen sind. Darauf zielt die Belehrung des Buddha, der insgesamt elf solcher Unreinheiten benennt, die Hindernisse für den weiteren spirituellen Fortschritt sind. Hier nur die wichtigsten.
Da ist der „Zweifel", ob es wohl Jenseitiges gibt oder nicht, ob das Wahrgenommene eine Einbildung ist oder nicht, ob die eigenen Bemühungen sinnvoll sind oder nicht. Es ist völlig klar: Was man nicht für denkbar hält, kann man weder anstreben noch erreichen. Wenn ich nicht an die Realität von etwas glaube oder wenigstens an seine Möglichkeit, wie sollte das dann eine praktische Bedeutung für mich haben? Wenn ich das Jenseits als etwas Irreales beurteile, bleibt mein Geist ihm gegenüber verschlossen. Wenn ich von meinem Vorhaben nicht überzeugt bin, fehlt mir die Motivation, es umzusetzen.
Nicht minder wichtig ist eine feste und unirritierte „Achtsamkeit" im Umgang mit Dingen des Lebens. Unaufmerksamkeit verhindert genaueres Betrachten und tieferes Vertrautwerden mit einem Gegenstand. Ein oberflächlicher Blick liefert ein unklares Bild. Nur wenn die Aufmerksamkeit geschärft ist und lange genug auf ein Objekt gerichtet bleibt, offenbaren sich seine Eigenschaften. Das gilt schon für den Alltag und mehr noch für Unbekanntes oder gar Jenseitiges. Was ich kennenlernen will, muß ich genau unter die Lupe nehmen und unvoreingenommen und intensiv beobachten. Das erfordert Wachheit.
Von der Fixiertheit auf das Alltägliche und Banale habe ich eingangs schon einmal gesprochen. „Trägheit" und „Schlaffheit" - im wörtlichen wie im übertragenen Sinn - sind nicht zu unterschätzende Ursachen für das Kleben am Dinglich-Weltlichen. Daß das eine Fessel ist, zeigt sich nun erneut, und es bedarf beständiger Mühe und Anstrengung, um die Macht unserer Gewöhnung zu durchbrechen und eine neue Orientierung zu finden. Wenn das Verharren im Gewohnten nicht aufgebrochen wird, können auch unsere geläufigen Muster der Weltwahrnehmung nicht transzendiert werden.
Das wird ebenfalls nicht funktionieren, wenn „Ängstlichkeit" und „Gefühlsüberschwang" den Geist beunruhigen. In dem einen Fall mag Furcht entstehen, weil in der Meditation die vertraute Welt und das vertraute Ich verblassen und sich eine neue, unbekannte Dimension der Wirklichkeit zeigt. Verunsicherung kommt auf. Deshalb wagt man den entscheidenden Schritt meist nicht und scheut sich, die Schwelle zu dem Unbekannten zu überschreiten. In dem anderen Fall können eine allzu gespannte Erwartung auf ungewöhnliche Erlebnisse und geistige Zustände oder die Faszination der gerade aufsteigenden Bilder eine so starke innere Erregung mit sich bringen, daß die Transzendierung mißlingt. Man verliert die gerade gewonnene Konzentration und fällt zurück.
„Und als ich, Anuruddha, merkte: Zweifel ist eine Verunreinigung des Gemütes, da wurde er abgetan; als ich merkte: Unachtsamkeit ist eine Verunreinigung des Gemütes, da wurde sie abgetan; als ich merkte: Trägheit und Schlaffheit sind Verunreinigungen des Gemütes, da wurden sie abgetan; als ich merkte: Ängstlichkeit ist eine Verunreinigung des Gemütes, da wurde sie abgetan; als ich merkte: Gefühlsüberschwang ist eine Verunreinigung des Gemütes, da wurde er abgetan ..."
(a.a.O.)
Die volle Transformation des Normalbewußtseins ist ein gradueller und allmählicher Prozeß. Sie geschieht in der Regel nicht unvermittelt und plötzlich, und selten gelingt sie sofort vollständig. Es gibt Vorstöße und Rückfälle, vorsichtiges Hineinfinden und tastende Versuche, Teilerfolge und schließlich sichere Fähigkeit. Ein Exempel für solche Entwicklungsschritte liefert der Mönch Sunakkhatto, der auf seinem Weg schon ein bemerkenswertes Stück vorangekommen ist. Er hat das „himmlische Auge" schon ausgebildet, aber noch nicht das „himmlische Ohr". Er kann jenseitige Formen sehen, aber keine jenseitigen Laute hören. Ein Bekannter von ihm, Mahali, erfährt davon und unterhält sich anschließend mit dem Buddha, weil er sich diesen besonderen Umstand nicht erklären kann. Wieso geht das eine und das andere nicht?
„Vor einigen Tagen, o Herr, kam Sunakkhatto, der junge Licchavier, zu mir und sprach: ‘Seitdem ich da, Mahali, mich dem Erhabenen zugesellt habe - es ist erst drei Jahre her - kann ich himmlische Gestalten wahrnehmen, holdselige, dem sinnlichen Begehren entsprechende, reizende, aber ich höre freilich keine himmlischen Töne, holdselige, dem sinnlichen Begehren entsprechende, reizende.' Gibt es nun, o Herr, himmlische Töne, holdselige, dem sinnlichen Begehren entsprechende, reizende, und Sunakkhatto hört sie nur nicht oder gibt es überhaupt keine?"
„Es gibt in der Tat, Mahali, himmlische Töne, holdselige, dem sinnlichen Begehren entsprechende, reizende, der junge Licchavier Sunakkhatto hört sie nur nicht."
„Was ist nun, o Herr, die Ursache, was der Grund, daß Sunakkhatto sie nicht hört?"
„Da hat, Mahali, ein Mönch die Konzentration entwickelt, die speziell auf die Wahrnehmung himmlischer Gestalten gerichtet ist, nicht aber auf das Hören himmlischer Töne, und so nimmt er eben bloß himmlische Gestalten wahr, nicht aber hört er himmlische Töne.
Da hat, Mahali, ein Mönch die Konzentration entwickelt, die auf das Hören himmlischer Töne gerichtet ist, nicht aber auf die Wahrnehmung himmlischer Gestalten, so hört er eben bloß himmlische Töne, nicht aber nimmt er himmlische Gestalten wahr.
Da hat, Mahali, ein Mönch die beiderseitige Konzentration entwickelt, die sowohl auf die Wahrnehmung himmlischer Gestalten wie auf das Hören himmlischer Töne gerichtet ist, und so nimmt er eben himmlische Gestalten wahr und hört himmlische Töne, holdselige, dem sinnlichen Begehren entsprechende, reizende."
(D 6, nach Grimm)
Der Buddha spricht hier von der Entfaltung ganz bestimmter Eigenschaften. Er sagt, daß geistige Sammlung und Integration immer umfassender, tiefer und beständiger werden müssen. Erst sind die negativen und hemmenden Seiten des Geistes zu beseitigen. Seine Unausgeglichenheit, seine Grobheit und Fixiertheit beschränken ihn. Nur für den, der geistige Energielosigkeit oder Überreiztheit, der Verlangen nach äußeren Reizen oder inneren Widerwillen schrittweise ablegen kann, wird „Jenseitiges" immer gewisser zu „Diesseitigem". In dem Maße, wie man „hier" die Sinne verschließt, öffnen sie sich „dort". Ein gewandelter Geist macht eine andere Wirklichkeit zugänglich. Wie weit das gehen kann, schildert der Erwachte bei vielen Gelegenheiten. Aus zunächst einzelnen oder sporadisch wahrgenommenen Tönen und Bildfetzen werden nach und nach vollständige Erlebniszusammenhänge. Neue Daseinsräume erschließen sich, „jenseitige" Wesen werden sichtbar und werden „greifbare" Realität.
Auch dem noch um sein Erwachen ringenden, künftigen Buddha ergeht es so. Ihm zeigt sich nach eigenen Aussagen zunächst der undifferenzierte und formlose Lichtschein aus jener anderen Sphäre. Allmählich werden die Konturen schärfer, Wesen werden sichtbar, die eine immer deutlichere Gestalt annehmen und mit denen er sich bald sogar unterhalten kann. Ihr Realitätsgehalt und der ihres Umfeldes unterscheiden sich nicht von dem der Menschen auf der Erde. Diese himmlischen Wesen haben kollektive und individuelle Eigenschaften und lassen sich klar unterscheiden und beschreiben. Sie haben persönliche Merkmale und eine Geschichte, die sie nicht selten mit dem Buddha verbindet. All das offenbart sich einem gereinigten Geist.
Während ich nun in der Folgezeit unermüdlich, eifrig und entschlossen weilte, nahm ich einen Lichtglanz wahr, bemerkte die Gestalten, weilte, sprach und unterhielt mich mit jenen Himmelswesen; wußte, ob sie zu dieser oder jener Gruppe von Himmelswesen gehören; wußte, auf Grund welchen Wirkens sie von hier abgeschieden und dort wiedererschienen waren, wovon sie sich nähren, welch Glück und Leid sie empfinden, wie alt sie werden und wie lange sie leben, sowie auch, ob ich schon früher einmal mit ihnen zusammen gelebt hatte oder nicht.
(A 8,64, nach Nyanatiloka/Nyanaponika)
Jenseitiges wird indessen nicht nur passiv erlebt, so wie etwa der Besucher eines Kinos einen Film auf der Leinwand sieht, aber selbst nicht eingreifen kann. In diesem Fall tritt der Betreffende vielmehr in eine neue Welt ein, bewegt sich in ihr und wird in ihr heimisch. Er ist nicht nur Zuschauer, sondern ist Agierender. Er kommuniziert mit den dortigen Wesen, versteht sie, und er wird verstanden. Wer so weit gelangt und zu diesen Dingen fähig ist, hat mehr als nur seine Wahrnehmungsfähigkeit transzendiert. Er ist in eine neue Dimension der Wirklichkeit und seines Lebens hineingewachsen. Er ist zum Wanderer zwischen zwei Welten geworden.
Das erst Außergewöhnliche und für die allermeisten Menschen sogar Undenkbare wird irgendwann zur Normalität. Es verliert den Charakter des Besonderen, so wie im Laufe der Zeit für ein Kind vieles zur Selbstverständlichkeit wird, was es in den ersten Jahren fasziniert und in Erstaunen versetzt hat. Komplizierte Tätigkeiten und Bewegungsabläufe werden Routine, ungewöhnliche Erlebnisse zu belanglosen Begegnungen. Wie selbstverständlich berichtet der Buddha von vielen Jenseitskontakten in seinem späteren Leben. Von eigenen und denen solcher Mönche, die ebenfalls innerlich rein geworden waren. In den kanonischen Texten finden sich Zeugnisse von jenseitigen Wesen, die ihn „hier" besuchten, und von solchen, die er „dort" aufsuchte.
Diese Nacht, ihr Mönche, zu vorgerückter Stunde, kamen zahlreiche Gottheiten, mit ihrem herrlichen Glanz den ganzen Jetahain erleuchtend, zu mir heran, begrüßten mich ehrfurchtsvoll und standen zur Seite. Seitwärts stehend sprachen jene Gottheiten also zu mir: „Früher, o Ehrwürdiger, als wir noch Menschen waren ..."
(A 9,19, nach Nyanatiloka/Nyanaponika)
Umgekehrt begibt sich der Buddha wie gesagt auch in die Daseinsbereiche anderer Wesen. Meist tut er das, um sie zu belehren oder vor falschen Anschauungen zu bewahren. So sucht er etwa Bako auf, einen hohen Brahma-Gott, dem wir später noch einmal begegnen werden. Kaum anders als wir in das Haus eines Nachbarn oder einer Freundin eintreten, betritt er eine andere „Welt". Mit welcher Leichtigkeit solche Kontakte zustande kommen, sehen wir an der Formulierung zu Beginn des folgenden Zitates, die sehr häufig gebraucht wird. Der Buddha versetzt sich in eine andere Sphäre, und er muß sich dazu nicht mehr anstrengen als wenn jemand seinen Arm bewegt.
So wie ein kräftiger Mann den gebeugten Arm ausstrecken oder den gestreckten Arm beugen kann, ebenso verschwand ich da von Ukkattha und erschien in jener Brahmawelt. Da sah mich der Brahma Bako wie von ferne herankommen und, nachdem er mich gesehen hatte, sprach er zu mir ...
(M 49, in Anlehnung an Neumann)
Der Eindimensionalität der überkommenen Weltvorstellung steht also eine faktische Vieldimensionalität des Daseins entgegen. Die uns bekannte und für uns einzig reale sinnlich-materielle Welt ist nur eine Daseinsform von vielen. Jene anderen kennen wir nicht und halten sie vielleicht sogar für Hirngespinste, nur weil sie jenseits unserer gegenwärtigen Wahrnehmungsfähigkeit liegen. Wir kennen den Teich, wissen aber nichts vom Meer.
Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus all dem für das Verständnis des Menschseins? Es ist viel umfassender und komplexer, als wir ahnen, und es beinhaltet Möglichkeiten und Qualitäten, von denen wir nicht einmal träumen. Der Körper, auf den wir aus völliger Verblendung am meisten fixiert sind, ist nur die äußerste, derbe Schale und spiegelt eine ebenso grobe Psyche. Dagegen verbürgen sich alle spirituell begabten und großen Seher für eine nicht minder reale „feinstoffliche" Körperlichkeit, die den normalen Sinnesorganen verborgen bleibt.
Die Identifikation und die permanente Beschäftigung des Menschen mit seinem „dichten" materiellen Leib läßt ihn blind werden für dessen subtilen und subtilsten Elemente, die es in den vielfältigsten Abstufungen und Schichtungen gibt. Der Erwachte lehrt, neu und anders zu beobachten und den Blick auf das Ganze des Daseins zu lenken. Er befähigt, Feines und immer Feineres zu entdecken. Zu dieser neuen Sichtweise und der zunehmenden Vertrautheit mit dieser anderen Realität kommt schließlich die Fähigkeit, mit ihr auch praktisch umzugehen. Die menschliche „Körperbeherrschung" erweitert sich.
Darüber hinaus, Udayi, habe ich meinen Schülern die Wege gezeigt, auf denen sie aus diesem Körper einen anderen Körper hervorgehen lassen, formhaft, geistig gestaltet, mit allen Gliedern und Sinnesfunktionen versehen. Wie wenn ein Mensch aus einem Munjagras einen Halm herauszöge und dabei dächte: ‘Das ist das Munjagras, das ist der Halm; das eine ist das Munjagras, das andere der Halm'.
(M 77, in Anlehnung an Dahlke)
Hier ist sogar die zeitweilige, bewußte und gewollte Trennung des feinstofflichen vom grobstofflichen Körper als möglich genannt. Wer dazu befähigt ist, kann seinen „himmlischen" Körper aussteigen lassen und in ihm und mit ihm weiterleben. Er tut es mit einem für uns transzendenten Leib in einer für uns transzendenten Welt - mit den Fähigkeiten der Körpersinne und mit Denken, Fühlen und Wünschen. Im vorangegangenen Kapitel haben wir dieses Phänomen bereits in einem anderen Zusammenhang kennengelernt. Dort unterhielten sich Kumarakassapo und Payasi über Schlaf und Traum, und beide gingen wie selbstverständlich davon aus, daß die menschliche Psyche den Körper im Schlaf verlassen kann, um einen anderen Erlebnisraum zu betreten. An dieser Stelle zeigt sich, daß diese Trennung auch willkürlich zustande gebracht werden kann und zu den Anlagen des Menschseins gehört, auch wenn sie meist unbekannt und „ungenutzt" bleiben.
Wie wenn ein Mensch ein Schwert aus der Scheide herauszöge und dabei dächte: ‘Das ist das Schwert, das ist die Scheide; das eine ist das Schwert, das andere die Scheide; eben aus der Scheide ist ja das Schwert herausgezogen.'
(a.a.O.)
Der hier von dem Buddha gebrauchte zweite Vergleich gibt einen aufschlußreichen Hinweis. Er sagt, daß man jenen Körper aus diesem wie ein Schwert aus der Scheide herausziehen kann. Damit ist zugleich ausgedrückt, was von den beiden das wichtigere und wertvollere ist. Die Scheide umgibt nur den Stahl. Auf ihn aber kommt es an, und er aber kann ohne seine Hülle sein und benutzt werden.
Wenn wir erkennen, daß wir schon „zu Lebzeiten" vielgestaltig sind, daß wir „Diesseitige" und „Jenseitige" sind, bekommen wir eine Ahnung, was Sterben wirklich ist. Tod heißt nur Ende dieser menschlichen Persönlichkeit in seiner derzeitigen Form. Tod bedeutet nicht das Ende der Person schlechthin, sondern die Zerstörung und das Zurücklassen des dichten materiellen Körpers, der Hülle. Empfinden, Erleben und Wahrnehmen sind nicht aufgehoben. Sehen und Hören, Denken und Erinnern gehen weiter. Wünschen und Wollen setzen sich einer eigenen Gesetzmäßigkeit entsprechend fort. Die Wesen agieren nicht weniger als vorher.
Wir legen lediglich ein grobes Instrument ab, geschaffen für die Lebensdauer und die Zwecke in einer groben Welt. Durch den Wegfall des stofflichen Leibes tritt das zu Tage, was immer schon da war, dem von Äußerlichem Geblendeten nur nicht bemerkbar. Der Mensch hat zu Lebzeiten bereits Anteil am Transzendenten, in das er mit dem Tod gänzlich wechselt und in dem er dann aufgeht. Jetzt ist seine Transzendierung vollkommen, und es gibt (vorläufig) kein Zurück mehr. Das „Leben" geht weiter mit allen denkbaren Leiden und Freuden, mit angenehmen und unangenehmen Begegnungen, Mühen und Anstrengungen, weil das im eigentlichen Sinne „Lebendige" etwas ganz anderes ist als der biologische Organismus.
Zwei weitere Bilder aus derselben Rede sollen vor allem das Verhältnis von Physischem und Psychischem veranschaulichen. Ersteres, belebt nur durch die innewohnenden seelischen Kräfte, zerfällt und endet mit dem Tod, letzeres besteht fort. Die Schale zerbricht, der Kern kommt zum Vorschein.
Darüber hinaus, Udayi, habe ich meinen Schülern die Wege gezeigt, auf denen sie erkennen: ‘Das hier ist mein Körper, formhaft, aus den vier Elementen bestehend, von Vater und Mutter gezeugt, von Speise und Trank genährt, der Vergänglichkeit, der Vernichtung, der Auflösung, dem Zerfall, dem Untergang unterworfen - und dies ist mein Bewußtsein, daran geknüpft und gebunden.'
Wie wenn da ein Edelstein, ein Diamant wäre, strahlend, von vollendeter Beschaffenheit, achteckig, wohlbearbeitet, durchsichtig, klar, mit allen Kennzeichen versehen; da wäre ein Faden hindurchgezogen, ein blauer oder gelber oder roter oder weißer oder farbloser; den würde jemand mit guten Augen in die Hand nehmen und betrachten: ‘Das hier ist ein Edelstein, ein Diamant, strahlend, von vollendeter Beschaffenheit, achteckig, wohlbearbeitet, durchsichtig, klar, mit allen Kennzeichen versehen; da ist dieser Faden hindurchgezogen, ein blauer oder gelber oder roter oder weißer oder farbloser' - ebenso habe ich meinen Schülern die Wege gezeigt, auf denen sie erkennen: ‘Dies hier ist mein Körper, formhaft, aus den vier Elementen bestehend, von Vater und Mutter gezeugt, von Speise und Trank genährt, der Vergänglichkeit, der Vernichtung, der Auflösung, dem Zerfall, dem Untergang unterworfen - und dies ist mein Bewußtsein, daran geknüpft und gebunden.'
(a.a.O.)
Wer auf den Körper sieht, sieht nur Vergänglichkeit, Verwesung und Zerfall. Aber man muß ihn durchschauen, ihn durchsichtig machen und das sehen, was „in" ihm ist. Der Buddha hat beschrieben, wie man ihn so „bearbeiten" kann, daß er wie ein „Juwel" transparent wird und den „Faden" offenbar werden läßt. Auf den Faden wird der Edelstein aufgezogen, vielleicht sogar mehrere. So wie er auf der anderen Seite des Steines wieder zum Vorschein kommt, weiterläuft und mit seiner ihm eigentümlichen Farbe sichtbar ist, so gibt es auch Kontinuität jenseits des Körpers: die Kontinuität der Psyche und ihrer feinstofflichen Erscheinung (in der Übersetzung Dahlke mit „Bewußtsein" wiedergegeben).
Für den Materialisten ist der Körper Ausdruck des Lebens, ja sein Wachstum das Leben selbst, und aus ihm gehen Bewußtsein und Gefühl, Denken und Wollen, Wünschen und Erleben hervor. Mit seinem Untergang schwinden Seelisches und Geistiges. Nicht so für den Wissenden. Für ihn ist der Körper aus Fleisch und Blut nichts den Wesen Eigenes. Er wird angelegt und abgelegt und ist überhaupt nur funktionsfähig, wenn er „bewohnt" ist. Er ist sichtbarer Ausdruck unsichtbarer Tendenzen, die ihn zum Instrument ihrer Zwecke machen. Sie sind ohne ihn Realität, er kann nur aus ihnen hervorgehen und für kurze Zeit existieren.