Alfred Weil
Die Botschaft des Buddha ist universell, befreiend und stets praxisbezogen. Sie will nicht eine weitere interessante Philosophie sein oder außergewöhnliche Erklärungen für die vielen Rätsel der Welt liefern. Sie möchte vielmehr gangbare Wege zu innerem Frieden, Sicherheit und Glück zeigen. Wie vielfältig und facettenreich die Ratschläge des Erwachten hierzu auch erscheinen, sie alle lassen sich doch zu drei großen Themen zusammenfassen: Wissen, ethisches Handeln und Entfaltung des Geistes.
Wie das Morgenrot dem hellen Tag vorausgeht, formuliert der Buddha in einem seiner Gleichnisse, so geht Erkenntnis der Befreiung voran. Um Leidfreiheit zu erlangen, brauchen wir also zunächst ein klares Verständnis der Daseinswirklichkeit. Wir benötigen eine illusionslose und unverzerrte Sicht der Natur aller Dinge.
Der zweite wesentliche Bereich der buddhistischen Spiritualität ist die Ethik. Sie zeigt die Notwendigkeit und den Sinn guter zwischenmenschlicher Beziehungen, und sie umfaßt allgemeingültige Regeln für unser Handeln in der Welt. Wo das nicht in Ordnung ist, kann unser Innerstes nie in Ordnung kommen.
Und schließlich geht es um die Meditation, um die unmittelbare Schulung unseres geistigen und seelischen Potentials. Dieser dritte Aspekt steht im Mittelpunkt des vorliegenden Buches. Es will zeigen, welche Fähigkeiten in uns wachsen und vollendet werden können. Es handelt davon, wie wir achtsamer, harmonischer und ausgeglichener werden können. Es lehrt, wie wir uns selbst kennen- und verstehen lernen und so dem Leben mit seinen Herausforderungen souveräner begegnen können. Es veranschaulicht, wie Meditation uns intuitiver, einsichtiger und wissender werden läßt und uns unbeschwerter, zufriedener und freier macht.
Aber trotz dieser Beschränkung auf nur einen der drei Abschnitte des buddhistischen Übungsweges haben wir es mit einer sehr umfassenden Thematik zu tun. Vielen Menschen ist sie fremd und erscheint ihnen verwirrend - den Anfängern ebenso wie Erfahrenen und Geübten. Warum ist das so?
Im Abendland ist das Verständnis für die „innere Wirklichkeit" weitgehend verlorengegangen. Unser Blick richtet sich auf die „äußere Welt". Sie ist es, die wir erforschen, die wir uns unterwerfen und uns nutzbar machen wollen. Hier vermuten wir das Geheimnis unseres Glücks. Die Menschen unseres Jahrhunderts sind kaum mehr vertraut mit sich selbst und ihrer inneren Dimension. Die Zugänge zu ihrem eigenen Geist sind versperrt, das Wissen um seine umfassenden Möglichkeiten kaum vorhanden. Die noch im christlichen Mittelalter klare Kenntnis vom Wesen und Wert der Kontemplation ist verblaßt. Meditation ist ein leeres Wort geworden, mit dem die wenigsten eine konkrete Erfahrung verbinden.
Ist Meditation überhaupt etwas für „ganz normale" Menschen mit Familie und Beruf, oder taugt sie lediglich für weltfremde Einsiedler und religiöse Ausnahmeerscheinungen? Von wie vielen unterschiedlichen Meditationsmethoden ist da manchmal die Rede. Haben sie alle die gleichen Ziele, oder verfolgen sie jeweils ganz andere Zwecke? Sind sie gleichermaßen wertvoll und empfehlenswert, oder führen manche schneller, müheloser und sicherer zu dem gewünschten Ergebnis? Wie unterscheiden sich die einzelnen buddhistischen Schulen, beziehungsweise was macht ihre Gemeinsamkeit aus? Die Fragen ließen sich beliebig fortsetzen.
Ganz allgemein gesprochen ist Meditation ein Weg zur Entfaltung der geistigen Fähigkeiten, über die wir alle verfügen, die wir aber in den seltensten Fällen näher kennen und tatsächlich nutzen. Wir können aber lernen, genau das zu tun und so Meditation als ein Mittel zu nutzen, das uns bei unserer Suche nach Glück und Zufriedenheit zur Verfügung steht.
Viele Menschen verbinden mit Meditation Vorstellungen wie Entspannung, innere Ruhe und Konfliktminderung. Deshalb setzen sie sich regelmäßig auf ihr Kissen. Das ist legitim, aber noch nicht das, worum es wirklich geht. Andere wissen, daß ein geschulter und reiner Geist nicht nur ein geeignetes Werkzeug ist, das uns äußeres Wohlbefinden verschaffen kann, sondern selbst schon voller Freude und Zufriedenheit ist. Das ist der Grund, warum sie sich der Übungen der Konzentration und der Vertiefung widmen. Auch das geht in die richtige Richtung, ohne aber schon das Entscheidende bereits im Auge zu haben. Meditation wird man erst dann vollständig verstehen, wenn man in ihr eine Möglichkeit sieht, die völlige Befreiung aus dem Leidenszusammenhang zu erlangen und aus diesem Daseinstraum zu erwachen. Und das allein ist, wozu der Buddha letztlich gelehrt hat.
Ein näherer Blick zeigt, daß die geistige Entwicklung, von der im Zusammenhang mit der buddhistischen Meditation die Rede ist, in zwei Richtungen zielt: auf Ruhe und Einsicht. Wem nur ein einziges Mal deutlich geworden ist, wie bewegt und rastlos, zerstreut und flatterhaft unser Geist normalerweise ist, begreift leicht die erste Aufgabe der meditativen Praxis. Wer nur einmal gründlich bei sich gesehen hat, wie Gedanken und Emotionen, Erinnerungen und Zukunftspläne, Wünsche und Ängste, Hoffnungen und Sorgen ununterbrochen aufsteigen und im nächsten Moment wieder verschwinden und wieder aufsteigen, um sogleich den nächsten Platz zu machen - dem ist klar, in welchem friedlosen Zustand sich sein Geist befindet. Meditation kann den Geist stiller, ruhiger, harmonischer, gesammelter und konzentrierter machen. Sie lehrt, uns von ihm nicht länger auf der Nase herumtanzen zu lassen. Sie lehrt uns, endlich unser eigener Herr zu werden.
Was wir mit der Meditation noch erreichen können, mag am besten ein Gleichnis des Buddha selbst verdeutlichen. Stellen wir uns einen See vor, dessen Oberfläche vom Wind aufgepeitscht ist und auf dem sich ständig neue Wellen bilden. Wäre da irgend jemand in der Lage, auf den Grund des Sees zu schauen? Nein, selbst mit größter Anstrengung nicht. Könnte der Betreffende die Fische im Wasser, die Muscheln, Steine und Pflanzen auf dem Grund deutlich sehen? Wohl kaum. Solange sich die Wogen nicht glätten, hat er keine Chance. In diesem Bild steht der See für unser Leben, das aufgewühlte Wasser für unseren ruhelosen Geist. Wir möchten die Schönheit der Natur sehen und genießen, aber wir können es nicht.
Wir sind nicht in der Lage, die Dinge unverschleiert und unverzerrt wahrzunehmen. Was uns daran hindert, sind „Gier, Haß und Verblendung", wie es der Buddha drastisch formuliert. Sie sind es, die den Geist in Bewegung halten und nie rasten lassen. Sie sind es auch, die unserem Leben seine Färbung geben. Wir sind es gewohnt, alle Menschen, Gegenstände und Situationen nach (subjektiven) Maßstäben von Mögen und Nichtmögen zu beurteilen. In allen unseren Erlebnissen spiegeln sich Verlangen und Abneigung wider. Zuneigung und Abneigung lassen uns alles wie durch eine gefärbte Brille sehen - verlockend oder abstoßend, schön oder häßlich, angenehm oder unangenehm; aber nie so, wie die Dinge wirklich sind.
Illusion und Irrtum sind aber immer der Beginn von Unannehmlichkeit und Unglück. Wer sie vermeiden will, muß seinen Realitätssinn schärfen und die Dinge unvoreingenommen betrachten. Und damit sind wir (wieder) bei dem zweiten Ziel der Meditation. Neben Ruhe und Sammlung geht es ihr um geistige Klarheit und Intuition, um tiefe Einsicht und Weisheit, um die vorurteilslose Schau der Realität. Sie ist dann vorhanden, wenn wir uns der drei grundlegenden Eigenschaften aller Daseinsphänomene bewußt sind: ihrer Vergänglichkeit, ihrer Unvollkommenheit und ihrer Substanzlosigkeit. Wenn wir sie sehen, sehen wir die Realität.
Damit keine Mißverständnisse entstehen: Zum Gehen sind beide Beine nötig. Sicher hebt man einen Fuß zuerst und macht einen - vielleicht sogar großen - Schritt nach vorn. Und es ist nicht so entscheidend, ob man dabei mit dem linken oder dem rechten Fuß beginnt. Aber richtig vorwärtskommen wird nur, wer tatsächlich beide Beine benutzt. In der Meditation bedingen sich Ruhe und Einsicht wechselseitig. Wird der Geist stiller, wird er auch schärfer. Und umgekehrt: Wird der Geist klarer, kommt er auch mehr zur Ruhe. Meditation heißt also, beides zu üben: Sammlung und Einsicht, Vertiefung und Klarblick, Konzentration und Intuition.
Der Buddha lebte in einem Land, das eine reiche spirituelle Tradition besaß und in dem Meditation von vielen geübt und gelehrt wurde. Seine Zeit kannte nicht nur den ausgeprägten Opferkult des Brahmanismus, sondern auch eine tiefe Mystik. Deshalb lag es nahe, daß sich Siddhartha Gautama, der künftige Buddha, zu Beginn seiner spirituellen Suche zu den berühmtesten und einflußreichsten Meditationsmeistern des Landes begab. Zunächst wurde er Schüler von Alara Kalama, einem Kenner der meditativen Sammlung. Er beherrschte und lehrte den „Nichtdaseinsbereich", einen Bewußtseinszustand jenseits aller sinnlichen Wahrnehmung. Formwahrnehmungen jeglicher Art, wie wir sie normalerweise ständig über unsere fünf Sinnesorgane erfahren und die das normale Leben ausmachen, finden auf dieser Stufe der Vertiefung nicht mehr statt. Und selbst das Denken hört für diese Zeit auf. Später kam Siddhartha zu Uddaka Ramaputta, der über seinen Vater von einer noch tieferen Ebene geistiger Versenkung gehört hatte, sie selbst aber schon nicht mehr aus eigener Verwirklichung kannte. Uddaka Ramaputta unterwies seine Schüler, noch weiterzugehen, auch Raum- und Zeitvorstellung zu überwinden und in den Zustand der „Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung" einzutreten. Dieser Zustand war so erhaben und subtil, daß er in den Grenzbereich zwischen Bewußtheit und dem Ende der Nicht-Bewußtheit gehört.
Dem künftigen Buddha bereiteten diese Weisen der Meditation keine besonderen Schwierigkeiten. Unter gewissenhafter Anleitung erlernte und vervollkommnete er sie schnell. Doch wo seine Lehrer am Ende der spirituellen Entwicklung angekommen zu sein und den Weg vollendet zu haben glaubten, erkannte er: Da gibt es noch mehr zu tun. Noch ist das Ende nicht erreicht, noch ist das eigene Innere nicht völlig gestillt, noch ist das Todlose, das Ungewordene, Sichere, Unvergängliche, völlige Leidfreie nicht erlangt. Gewiß, oberflächlich gesehen war der Geist beruhigt und besänftigt. Aber offensichtlich war er im Innersten noch nicht absolut rein und geläutert. Siddhartha ahnte, daß all diese erhabenen Bewußtseinsstufen - und sie entsprachen dem höchsten spirituellen Wissen seiner Zeit - nicht die endgültige Befreiung darstellten. Irgendwie spürte er, daß noch immer Kräfte in ihm vorhanden waren, die ihn weiter an das Dasein und dessen Unvollkommenheit fesselten.
Die alles entscheidende Anwort fand er jedoch nicht sofort. Viele Um- und Irrwege waren noch zu gehen. Er versuchte es über strengste Askese, indem er seinen Körper quälte und dessen Regungen gewaltsam unterdrückte. Er peinigte und mißhandelte ihn, er hungerte und dürstete, und er gönnte sich keinerlei Freude oder Annehmlichkeit, gemäß einer Maxime seiner Zeit: Glück kann man nur durch Schmerz erlangen. Doch all die Entbehrungen und bitteren Kämpfe waren vergeblich. Sie brachten ihn an den Rand des Todes, nicht aber an das gewünschte Ziel. Aber es mußte einen Ausweg geben, dessen war er sich sicher.
Und tatsächlich. Eines Tages erinnerte er sich an eine lange zurückliegende Begebenheit während seiner Kindheit. Damals hatte der junge Prinz unter einem Rosenapfelbaum gesessen, so sagt es die Überlieferung, als er unverhofft ein ihn tief beeindruckendes Erlebnis hatte. Ohne erkennbaren Anlaß stieg in ihm ein bisher nicht gekanntes, überwältigendes Gefühl innerer Seligkeit auf; ein Glück, das aus ihm selbst kam und das unabhängig von den Dingen der äußeren Welt war. Jetzt, da diese Erinnerung wieder vor sein geistiges Auge trat, wurde dem künftigen Buddha klar: Das könnte der richtige Weg sein. Auf ihm will ich es versuchen. Und er beschritt ihn, um nach nur kurzer Zeit die endgültige Gewißheit zu haben. Er war zu einem Buddha geworden: aus dem Daseinstraum erwacht, unverletzbar und frei.
Was war das Entscheidende dieses Weges, den keiner seiner Zeitgenossen entdeckt und keiner von ihnen zuvor gegangen war? Alaro Kalamo und Uddaka Ramaputta hatten gezeigt, wie sich durch intensive geistige Konzentration die sinnliche Wahrnehmung vorübergehend beiseite schieben und wie sich das normale weltliche Erleben zeitweise transzendieren ließ. Wer das konnte, konnte das Leiden hinter sich lassen, so propagierten die Anhänger jener Schulen. Aber sie kannten kein Mittel, um die nach wie vor vorhandene subtile und unbewußte Abhängigkeit von den angenehmen Sinneserlebnissen zu überwinden. Das war der Grund, warum diese in der Meditation erfahrenen friedvollen Zustände nicht von Dauer sein konnten, geschweige daß so ein Ende des Daseinskreislaufs zu erreichen war.
Sich dem Sinnesgenuß ganz und kritiklos hinzugeben war keine Lösung. Jeder Freude zu entsagen ebenfalls nicht. Es war der Weg der Mitte, der diesen Widerspruch aufzulösen vermochte. Der Buddha erkannte, daß die Befreiung sehr wohl über die Entfaltung der (meditativen) Freude möglich war, aber man durfte nicht bei ihr stehenbleiben. Nun, da er eine Quelle höheren und intensiveren Glückes in seinem Inneren entdeckte und aus ihr schöpfte, wurde sein Geist unabhängiger. Er war nicht länger gefangen von den vordergründigen Verlockungen der Welt, denn für etwas Besseres gibt man gerne das Minderwertigere auf. Zudem machte die jetzt erfahrene Stille, Heiterkeit und Sammlung des Geistes diesen zu einem scharfen Instrument der Weisheit. Sie bereiteten ihn auf die tiefste, alles durchdringende Einsicht vor. Mit diesem stetigen, konzentrierten und geschmeidigen Geist konnte er die Daseinswirklichkeit unmittelbar und vollständig erfassen.
Der Buddha erkannte alle Erscheinungen in ihrem Werden und Vergehen, er schaute ihren fließenden, unsteten, flüchtigen Charakter: Nirgends gibt es da Halt und Sicherheit, denn nichts ist von fester und dauerhafter Substanz. Alle Phänomene der Existenz sind ohne Kern, sie sind leer. Das Heil, so wußte der Buddha nun, war im Bedingten und Gewordenen nicht zu finden: Wer Todlosigkeit und die Leidfreiheit erlangen will, muß das Unentstandene und Bedingungslose finden.
Inhaltlich liefert die vorliegende Textauswahl einen breiten und zugleich dichten Überblick. So geht es um die Beschreibung, was „Meditation eigentlich ist" und welchen Stellenwert sie in der Befreiungslehre des Buddha insgesamt einnimmt. Die beiden Grundpfeiler meditativer Praxis „Ruhe und Einsicht" sind, wie nicht anders zu erwarten, das durchgehende Motiv der Belehrungen, das in vielen Varianten ausgearbeitet ist. Es sind Beiträge zu lesen, die eher um einen umfassenden Überblick bemüht sind, während andere das eine oder andere wichtige Detail herausgreifen, um es näher zu untersuchen. Leicht lesbare und eingängige Darstellungen stehen neben solchen, die eine sehr präzise und wissenschaftliche Begrifflichkeit benutzen.
Das Buch hat zunächst einen ganz praktischen Schwerpunkt. Es beantwortet die Frage: „Wie mache ich es konkret?" und gibt genaue Anleitungen. Thich Nhat Hanh etwa nennt eine Vielzahl von Übungen, die sich ganz direkt auf unsere Alltagssituation beziehen; Übungen, die uns immer wieder - am Arbeitsplatz, zu Hause oder unterwegs - einfallen und inspirieren können. Andere Anweisungen sind systematischer und mitunter nur verständlich, wenn man sie auf die Situation eines Retreats bezieht, in dem man sich für mehrere Tage oder noch länger zurückzieht. Sie sind ganz konsequent nur in einem geschützten Rahmen und während eines speziellen und eingehenden Trainings zu befolgen. Ein Beispiel dafür ist Mahasi Sayadaws Erläuterung der „Grundlagen der Achtsamkeit". Mit den satipatthana spricht er die vier wesentlichen Objekte buddhistischer Meditation an. Geshe Rabten beschreibt einführend das allgemeine Umfeld für eine erfolgreiche Meditation. Wie also müssen die äußeren und inneren Bedingungen der Praxis aussehen? Buddhadasa Bhikkhu entwirft ein ausführliches Trainingsprogramm der „Atembetrachtung", mit dem man heute starten und das man lebenslang beibehalten kann. Ebenso systematisch geht Geshe Thubten Ngawang vor, der einen umfassenden und anschaulichen Überblick über den Weg zur „Geistigen Ruhe" gibt und ihn Stufe um Stufe erläutert. Das Fortschreiten von der objektbezogenen zur gegenstandslosen Meditation beschreibt Agetsu Wydler Haduch. In ihrem Beitrag finden sich praktische und erklärende Hinweise aus der Sicht des Zen. Den ersten Themenkreis des Buches beschließt Gendün Rinpoche. Neben seinen grundlegenden Ausführungen benennt und korrigiert er insbesondere eine ganze Reihe von Mißdeutungen und irrigen Auffassungen bezüglich der meditativen Praxis.
Man macht nur das richtig, was man auch richtig begreift. Die Beschäftigung mit Meditation setzt auch ein ausreichendes Verständnis voraus. Der zweite Schwerpunkt dieses Buches widmet sich daher Fragen wie: Wie funktioniert unser Geist? Wie läßt er sich beeinflussen? Was geschieht in der Meditation? Welche Entwicklungsschritte gibt es? Wie kann man Meditation als ein System beschreiben?
Bei Ayya Khema und Henepola Gunaratana stehen die meditativen „Vertiefungen" ganz im Vordergrund, einmal in der Zusammenschau aller acht jhana und dann als eine genaue Analyse der ersten Stufe und ihrer einzelnen Faktoren. Auch Samdhong Rinpoche untersucht die unterschiedlichen Ebenen der Sammlung und Konzentration des Geistes, um dann deren Bedeutung für die Erlangung von Weisheit zu erläutern. Der Frage nach dem wahren Geisteszustand im Zen geht Taisen Deshimaru nach. Er „ist sowohl subjektive Konzentration als auch objektive Beobachtung", so seine Antwort. Nyanaponika Mahathera thematisiert das geistige Instrument, das wir für wahre Erkenntnis benötigen: die Fähigkeit der Achtsamkeit, die das „Reine Beobachten" und damit eine unverzerrte Sicht der Dinge ermöglicht. Um die Rolle der direkten Erfahrung und der Intuition geht es Genro Koudela. Für ihn ist die Praxis des Nicht-Selbst die Zenpraxis schlechthin, und er zeigt, wie das Bewußtsein den ursprünglichen Zustand des Eins-seins wiedererlangen kann. Im Schlußteil gibt Sangharakshita einen Überblick über die verschiedenen Arten der Meditation und schlägt einen stufenmäßigen Aufbau des Übungsweges vor, bei dem die einzelnen Elemente des spirituellen Trainings zusammenwirken. In Shunryu Suzukis Beitrag spiegelt sich ganz zum Schluß noch einmal unmittelbar die Qualität des geschulten und freien Geistes. In typischer Zen-Manier lehrt er, in klaren und schlichten Worten, ohne Gedankenakrobatik und nutzlosen theoretischen Ballast.
Ähnlich wie bei den bereits vorliegenden Bänden der DBU-Schriftenreihe ist auch diesmal Absicht, möglichst viele und unterschiedliche Facetten des Themas zu berücksichtigen. Natürlich sind Autorinnen und Autoren der verschiedenen (großen) buddhistischen Traditionen vertreten: Was den Theravada betrifft, so kommen die Belehrungen aus Burma (Mahasi Sayadaw), aus Thailand (Buddhadasa Bhikkhu) und Sri Lanka (Henepola Gunaratana) sowie von seinen beiden europäischen Vertretern Ayya Khema und Nyanaponika Mahathera. Der tibetische Buddhismus findet Berücksichtigung mit Geshe Rabten, Geshe Thubten Ngawang und Samdhong Rinpoche (Gelug) sowie Gendün Rinpoche (Kagyü). Das Zen Japans und Vietnams findet sich in Texten der Soto- (Taisen Deshimaru, Shunryu Suzuki) und der Rinzai-Schule (Thich Nhat Hanh, Genro Koudela, Agetsu Wydler Haduch) wieder. Durch die Person Sangharakshitas ist außerdem ein explizit traditionsübergreifender Ansatz vertreten.
Auffällig ist die Vielzahl der bekannten und klangvollen Namen bei den zu Wort kommenden Autorinnen und Autoren. Sie stehen für Menschen mit außergewöhnlicher Erfahrung und Wirkung. Unvergessene Meister Asiens finden sich neben herausragenden Abendländern; meist sind sie wichtige „Brückenbauer" zwischen Ost und West. Der eine oder andere dieser Lehrer leistete beachtliche „Pionierarbeit" - nicht selten auch in den asiatischen Ländern selbst, in denen die hohe Kunst der Meditation im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten drohte. Die teilweise Wiederentdeckung und Wiederbelebung in den buddhistischen Ländern war nicht zuletzt eine Bedingung dafür, daß die Meditation überhaupt in den Westen kommen konnte.
Dieses Buch bringt eine Reihe hervorragender Texte zusammen, die sonst nur sehr schwer zugänglich sind. Ein Großteil von ihnen sind Übersetzungen aus dem Englischen und somit erstmals in deutscher Sprache verfügbar. Viele Beiträge wurden überdies für diese Ausgabe in unterschiedlichem Umfang noch einmal bearbeitet.
Stiller Geist - Klarer Geist will also einen Einblick in das Thema durch vielfältige Herangehens- und Darstellungsweisen versuchen. Vollständigkeit erreicht das Buch erwartungsgemäß nicht. Da die zu behandelnde Materie sehr vielschichtig ist, ist eine alles umfassende Darstellung gar nicht möglich.
Hoffentlich kann dieses Buch Wegweiser sein, indem es Einsichten weitergibt, Praxis beschreibt und - auf solche Menschen hinweist, die noch direkter und gezielter Hilfen geben können. Deshalb sei an dieser Stelle eine Empfehlung wiederholt, die stets ihre Gültigkeit behält. Meditation ist ein praktischer Weg, der am besten in Begleitung einer erfahrenen Lehrerin oder eines erfahrenen Lehrers gegangen werden kann - zumal in den fortgeschrittenen Stadien. Auf ihren Rat sollte man zurückgreifen.