Alfred Weil
Die Macht der Sprache ist das Thema. Auch die Rechte Rede. So bezeichnet der Buddha die angemessene Weise, mit Sprache umzugehen. Sprechen ist neben Denken und Handeln eines der drei Aktionsfelder des Menschen, auf die genau zu achten sich lohnt. Wie wir sprechen, hat entscheidenden Einfluss auf unser ganzes Leben und auf die Qualität unseres Erlebens. Es gilt der bekannte Satz: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Buddhistisch betrachtet, sollten wir dieses Sprichwort aber in einem sehr weiten Sinn verstehen, weil Sprache auch weitaus mehr umfasst als das Artikulieren sinnvoller Laute. Die drei Stichworte des Buchtitels weisen darauf hin: Reden – Hören – Schweigen.
Damit ist eine Frage in etwa beantwortet: Warum sollten wir uns mit dieser Thematik näher beschäftigen? Weil sie eine eminent praktische Bedeutung hat. Es geht nicht darum, aus Detailversessenheit letzte Feinheiten der buddhistischen Lehren aufzuspüren und Spezialwissen anzuhäufen. Es geht darum, auf einem wichtigen, aber leicht unterschätzten Aktionsfeld besser orientiert zu sein, um so besser agieren zu können.
Rechte Rede spiegelt zudem die Gesamtheit der buddhistischen Lehre und Praxis. An jedem einzelnen Punkt des Dhamma lässt sich der ganze Dhamma aufzeigen.
In den Lehrreden des Buddha fallen einige sprachliche Wendungen auf. Kurze wiederkehrende Ausdrücke, die dem Leser schnell so vertraut sind, dass er sie bald nicht weiter beachtet. Weil in ihnen aber eine wichtige Botschaft steckt, sollen sie als Einstieg dienen. Sie sind wie Wegzeichen und verweisen auf die Schwerpunkte der nächsten Kapitel.
Also sprach der Erhabene.
Diese Worte erinnern uns daran, dass vor rund 2.600 Jahren in Indien ein Mann lebte, der als Siddhattha Gotama geboren und als der Buddha, der Erwachte, weithin bekannt wurde. Den Erhabenen nannte man ihn ebenfalls, weil er über alles Menschliche, ja alles Weltliche hinausgewachsen war und sein Geist kaum nachvollziehbare Höhen erreicht hatte. Seine Freiheit war vollkommen, und die von ihm verkündete Wahrheit sollte sie auch anderen zugänglich machen. Sprache war ein entscheidendes Mittel dafür. Der Buddha fasste seine tiefgründigen Erfahrungen in Worte, selbst da, wo es um eigentlich Unsagbares ging. Und der Buddha war ein Meister der Sprache, der in ungezählten Reden und Dialogen sein Wissen vermittelte. Etwa 45 Jahre widmete er sich dieser Aufgabe mit aller Intensität und Genauigkeit und erreichte Tausende von Frauen und Männern.
So habe ich gehört.
Ānanda, einer der engsten Vertrauten des Buddha und fünfundzwanzig Jahre sein Begleiter und seine „Rechte Hand“, ist für diesen Satz bekannt. Er war es, der einen Großteil der Reden des Buddha als direkter Zeuge vernahm und sie wortgetreu in seinem phänomenalen Gedächtnis bewahrte. Gesprochenes muss gehört, muss festgehalten werden, wenn es Früchte tragen soll. Und das tat Ānanda unermüdlich; er hatte sich von dem Buddha sogar ausbedungen, ihm jede Belehrung wörtlich zu wiederholen, bei der er nicht persönlich anwesend sein konnte. Keine einzige Silbe wollte er verpassen. Auf dem ersten Konzil, bald nach dem Tod des Erhabenen, waren 500 Heilige zusammengekommen, um gemeinsam festzulegen, was künftig als authentisches Buddhawort gelten sollte. Gerne brachten sie ihre Kenntnisse ein, aber es war Ānanda, der den zentralen Teil zu dem „Korb der Lehrreden“ beisteuerte – eben das, was er über die Jahre hinweg so gehört hatte.
Zufrieden freuten sich die Mönche.
Die vielen hundert längeren oder kürzeren mündlichen Unterweisungen des Erwachten waren nicht umsonst gesprochen. Sie entfalteten eine überaus positive und heilsame Wirkung. Meist schon unmittelbar als tief empfundene Freude über die gehörte Wahrheit, oft als Inspiration und willkommene Ermutigung für die Zukunft. Sie gaben Orientierung für den Alltag, waren konkrete Empfehlungen bei aktuellen Problemen oder ein unentbehrliches Korrektiv bei persönlichen Schwächen und Mängeln. Wie viele Zuhörer waren von den sich eröffnenden Perspektiven begeistert und richteten ihr ganzes Leben nach ihnen aus.
Damit sind drei Hauptbedingungen erfüllt, dass die buddhistischen Lehren noch heute zugänglich sind: das Verkünden, das Erinnern und das Tradieren ihrer Wahrheiten. Immer wieder in den vergangenen Jahrhunderten haben Menschen über den Dhamma gesprochen, ihn in sich aufgenommen und ihn weitergegeben.
Der Erhabene blickte über die still gewordene, lautlose Schar der Mönche hin. (M 118-BS)
Die Mönche haben sich versammelt, sie wollen mehr von der Weisheit des Erwachten erfahren und warten auf eine Unterweisung. Sie tun es aber ohne das weltlich-übliche Gerede, das so manche Stunde unserer Tage ausfüllt. Sie sitzen still und in sich gekehrt, als der Buddha seinen Blick über sie schweifen lässt. Dieser Moment zeigt uns eine beachtenswerte Eigenschaft dieser Gemeinschaft. In ihr spielen nicht nur Reden und Hören ihre unbestrittene Rolle, sondern auch das Schweigen. Einen fruchtbringenden Austausch zu pflegen ist das eine, das Bei-sich-Bleiben und Stillsein das andere. Gerade für die spirituelle Praxis hat es eine besondere Bedeutung, und dieses Buch wäre unvollständig, würde es diesem Aspekt nicht ebenfalls nachgehen.
Unser Thema werde ich nicht aus einer sprachwissenschaftlichen oder philosophischen Perspektive angehen. Ich möchte es aus dem Verständnis und der Praxis der buddhistischen Lehren beleuchten. Ich möchte zeigen, dass und wie Sprache unser Wohlbefinden und unsere Freiheit fördert oder verhindert. Was und wie wir reden, entscheidet nämlich letztlich darüber, ob sich in unserem Leben Unzulänglichkeit und leidvolle Erfahrungen fortsetzen oder ein Ende finden können.
Naturgemäß gehören zu einem realistischen Gesamtbild unterschiedliche Ebenen oder Dimensionen. Es bietet sich an, mit dem Naheliegenden und Vertrauteren zu beginnen und dann schrittweise weitere Kreise zu ziehen. So werde ich einleitend und eher am Rande etwas über Sprache und Kommunikation im Allgemeinen und über die verschiedenen Formen von Sprache sagen. Ausführlicher werde ich dann auf ethische Fragen eingehen und insbesondere die Folgen des Redens genauer betrachten. Denn wie jede körperliche Handlung erwünschte oder unerwünschte Resultate mit sich bringt, so auch jede verbale Aktivität. Ganz gleich, ob wir das wissen oder nicht, ob wir es beachten oder nicht. Sprachliche Äußerungen führen zu Freude und Wohlbefinden oder in Wirrsal und Not.
Zum Schluss streife ich die „existenzielle Ebene“ der Thematik. Sie beinhaltet die ebenso wichtige wie vielleicht erstaunliche Tatsache, dass das Dasein als solches auf Sprache basiert. Unsere gesamte Existenz hat sprachliche Strukturen. Während wir gewöhnlich an das Vorhandensein einer für sich bestehenden materiellen Welt glauben, in die wir hineingeboren werden, belehrt uns der Erwachte eines anderen. Ich und Welt haben mehr mit Gedanken und mit innerem Sprechen zu tun als mit chemischen Elementen oder physikalischen Gegebenheiten.
Die folgenden Betrachtungen gehen vor allem der Form von Sprache nach. Nicht nur der Inhalt und die Intention von Worten sind von Belang, sondern auch die Art und Weise, wie sie vorgebracht werden. Die gängige Umschreibung einer unschönen Variante liest sich in den kanonischen Texten so:
Er gebraucht grobe Worte; er äußert Worte, die grob, hart, verletzend, beleidigend, dem Zorne nahe und der Konzentration abträglich sind. (D 41-MBh)
Wer sich so äußert, benimmt sich zumindest nicht den allgemeinen Gepflogenheiten gemäß. Sein verbales Auftreten gilt als unhöflich und roh, er kommt ungehobelt daher und bedient sich einer rüden Ausdrucksweise (pharusā vācā). Er ist laut und eine ständige Attacke auf das Trommelfell. Zusätzlich mag eine solche Sprache noch von negativen Emotionen begleitet sein. Dann zeigt sie sich aggressiv und zorngeladen. Das ist kein normales Reden, sondern Schimpfen und Schreien, Poltern und Toben.
Auch grobe Sprache ist ihrer Tendenz nach verletzend. Sie gebraucht Worte, die weh tun und die keiner gern hört. Sie sind beleidigend und herabwürdigend, diskriminierend und verächtlich. Sie beinhaltet Worte, die jemanden öffentlich bloßstellen.
Verletzende Sprache kann sehr subtil sein. Spott ist eine Form, jemanden bewusst lächerlich zu machen und mit Worten zu demütigen, ohne laut zu werden oder Kraftausdrücke zu verwenden. Sarkasmus als beißender Spott und Zynismus als die dazugehörende innere Haltung sind schlimmere Varianten davon. Worte voller Hohn verbinden Spott mit Verachtung. Die Ironie habe ich in einem anderen Zusammenhang schon erwähnt. Man sagt etwas Bestimmtes, meint aber das genaue Gegenteil. Man nimmt den Worten ihren ursprünglichen Sinn und pervertiert sie damit. Ein ohnehin peinlicher Fehrer einer Person wird noch herausgestellt und so kommentiert, dass es zusätzlich schmerzt: „Hervorragend gemacht!“
Der Streit von Kosambī
Selbst im Orden des Buddha kam es gelegentlich zu heftigen verbalen Ausfällen. Weithin bekannt geworden sind die unrühmlichen Wortgefechte im Streit von Kosambī, die in kurzer Zeit über alle Maßen eskalierten. Dabei fing alles vergleichsweise harmlos an. Zwei Mönche hatten eine Meinungsverschiedenheit bei der Auslegung einer Ordensregel. Der eine warf dem anderen einen Verstoß vor, der sich zunächst dazu bekannte, aber später widerrief. Umgehend schalteten sich die Anhänger der beiden in den Konflikt ein, der Ton wurde schärfer und die Zahl der Kontrahenten weitete sich schnell aus. Wegen einer nicht geleerten Schüssel mit Waschwasser, darum ging es nämlich, entstand ein handfester Krach.
Bei dieser Gelegenheit waren die Bhikkhus bei Kosambī in Streit und Zank verfallen und waren in Streitgespräche vertieft, bei denen sie sich gegenseitig mit Worten, die Dolchen glichen, verletzten. (M 48-MBh)
Die Auseinandersetzung führte so weit, dass die verfeindeten Mönche sogar handgreiflich wurden. Mehrere Schlichtungsversuche scheiterten. Selbst Ermahnungen des Buddha, sich auf ihre spirituellen Ziele und ihre Rolle und Vorbildfunktion als Ordinierte zu besinnen, verhallten unbeachtet. In diesem Fall waren es die Laienanhänger, die die Streithähne endlich zu Räson brachten. Sie boten ihnen einfach nichts mehr zu essen an und versagten ihnen auch sonst jede materielle Unterstützung. Das wirkte – mehr als alle gutgemeinten versöhnenden Mahnungen.
Wir können uns in etwa vorstellen, wie dieses verbale Scharmützel heute aussehen würde, unterstützt durch den „Segen“ der modernen Technik. Alles würde viel leichter und eiliger vonstattengehen. Die Anhänger beider Seiten ließen sich doch im Handumdrehen und an jedem Ort informieren und mobilisieren. Es würde weitaus einfacher sein, wie im geschilderten Fall mit geballter Ladung auf den Beschuldigten loszugehen und ihn fertigzumachen. Statt grober Beschimpfungen und harter Kritik von Angesicht zu Angesicht sähe er sich heute im schlimmsten Fall einem leidenschaftlichen Shitstorm ausgesetzt. Den hat erst die digitale Kommunikation unserer Tage möglich gemacht und lässt den Ausdruck grobe Rede geradezu harmlos klingen. Hinzu kommt, dass die vorhandenen technischen Gegebenheiten die Verrohung von Sprache und die mit ihr verbundene Gewaltsamkeit noch ungemein fördern. Die Möglichkeit, sich anonym und damit „aus dem Hinterhalt“ zu äußern, lässt nicht selten Schranken fallen, die in der direkten menschlichen Begegnung noch Bestand haben. Wer für sein asoziales Verhalten keine ernsthaften Konsequenzen zu erwarten hat, kann seinen Trieben und seinen Stimmungen freien Lauf lassen.
Das Eingangszitat zu diesem Abschnitt deutete es schon an. Eine derartige Sprache trifft nicht allein den Empfänger empfindlich, sie schadet auch dem Sprechenden. Und zwar in verschiedener Hinsicht.
Es hieß, dass sie der Konzentration abträglich ist, sie also unfähig zu innerer Sammlung (samādhi) macht. Wer in seinem äußeren Gehaben roh ist und verbal gerne kräftig austeilt, dessen Gemütszustand kann nicht ruhig und ausgeglichen sein. Ein turbulentes Leben und ein stilles, geeintes Herz passen nicht zueinander. Wenn das Wasser im Topf kocht, sprudelt sein Inhalt und läuft irgendwann über. Erst wenn die Hitze herausgenommen und das Wasser abgekühlt ist, wird seine Oberfläche glatt. Die Metapher legt nahe, dass jemand einem spirituellen Weg schwerlich ernsthaft folgen kann, wenn er solche Defizite aufweist. Ist seine Sprache gewaltsam und roh, ist es das Denken – sein inneres Sprechen – ebenfalls. Das jedoch schließt tiefen inneren Frieden aus – und alle auf ihm beruhenden Entwicklungsmöglichkeiten.
Ein Vers im Saṃyutta Nikāya bringt das verletzende und schädigende Potenzial der Sprache bündig zum Ausdruck.
Ist ein Mensch geboren, so entsteht ihm im Mund eine Axt,
Mit der er, wenn er üble Worte spricht, sich selber schlägt. (S 6,10-WG)
In diesem Fall gibt es nur Verlierer. Sich selbst tut man schon deshalb nichts Gutes, weil verbale Grobheiten oft sofort erwidert werden und einem dann wie ein Bumerang um den Kopf fliegen.
Zu Keinem rede hart und rau,
Leicht möchte er’s erwidern dir. (Dh 133-KEN)
Nicht immer trifft man auf jemanden, der Anwürfe klaglos über sich ergehen lässt, etwa weil er sich in dieser Situation unterlegen fühlt und sich nicht wehren kann – oder weil er souverän über den Dingen steht und sie mit einem innerlichen Lächeln abtut. Gelegentlich wird auf beiden Seiten mit harten Bandagen gekämpft und auf eine Attacke mit einem harschen Gegenangriff geantwortet.
Nandivisāla
Beleidigende Worte hört niemand gerne, nicht einmal ein Tier, wie uns eine amüsante Geschichte aus den Jatakas erzählt. Sie handelt von einem Ochsen, der vor langen Zeiten in der Stadt Takkasilā einem brahmanischen Großbauern diente. Das Tier besaß außerordentliche Kräfte und war der ganze Stolz seines Herrn. Es wurde aber auch besonders gut gepflegt und geradezu verhätschelt. Nandivisāla, so hieß der Ochse, wusste das zu schätzen und wollte seinem Herrn seine Dankbarkeit erweisen. Er schlug deshalb eine Wette um tausend Goldstücke vor. Er wollte sich mit anderen Ochsen aus der Umgebung messen und beweisen, dass er als einziger hundert Karren auf einmal zu ziehen vermochte. Dem Bauern gefiel diese Idee, und er traute seinem Liebling diese Glanzleistung auch ohne Bedenken zu. Schnell war ein Großkaufmann gefunden, der lachend dagegenhielt, weil der sich wiederum einen solchen Kraftakt nicht vorstellen konnte. Das würden leicht verdiente Goldstücke sein.
Kurze Zeit später waren die Vorbereitungen für das Spektakel getroffen. Einhundert schwer beladene Karren waren mit festen Stricken aneinandergebunden Nandivisāla in das Joch gespannt. Als alles startklar war, rief der Brahmane seinem Ochsen in bester Laune zu: „Los, du Schelm, zieh, du Schelm.“ Aber nichts geschah, Nandivisāla rührte keinen Fuß.
Niedergeschlagen trat der um sein liebes Gold ärmere Brahmane den Rückweg an. Zuhause sprach ihn sein bislang so treuer Hausgenosse an: „Habe ich dir jemals einen Schaden zugefügt oder irgendjemanden verletzt oder bin dir sonst wie zu nahegetreten?“ „Nein, das nicht.“ „Warum beleidigst du mich dann und nennst mich öffentlich einen Schelm?“ So stark der Ochse war, so wohlwollend und versöhnlich war er auch nach einer Entschuldigung seitens seines Herrn. Sogleich wiederholte er seinen Vorschlag. „Wette noch einmal, aber jetzt um zweitausend Goldstücke.“ Das geschah auch, und das Ganze lief ganz ähnlich ab wie beim ersten Mal. Nur, dass das Zugtier jetzt noch prächtiger geschmückt und herausgeputzt war. Und als ein freundliches „Los, Lieber, zieh, Lieber“ erklang, setzte sich die lange Wagenkolonne mit einem heftigen Ruck in Bewegung. Die zahlreich versammelten Zuschauer staunten nicht schlecht, und der Brahmane konnte seinen Verlust mehr als wett machen. (J 28)
Die Formel, mit der der Erwachte seine Einsichten und Empfehlungen zu diesem Thema zusammenfasst, werden uns schon ein wenig vertraut vorkommen. Wer in seiner Selbsterziehung schon ein gutes Stück vorangekommen ist, von dem heißt es:
Verletzende Worte zu reden, das hat er aufgegeben. Das Aussprechen verletzender Worte widerstrebt seinem Wesen. Worte, die nicht verletzen, dem Ohre wohltun, liebreich, zum Herzen dringen, höflich, viele erfreuend, viele erhebend, solche Worte spricht er. (M 39-BS-IA)
Eine solche Redeweise kommt beim Zuhörer gut an. Sie ist ihm angenehm, und er hört deshalb gern zu. Sie spricht sein Inneres an und bringt das Gute in ihm zum Schwingen. Sie entspricht den bewährten Umgangsformen und trägt zu einem harmonischen Miteinander bei.
Die Macht der Sprache
Alfred Weil
Verlag Beyerlein & Steinschulte 2022
Paperback, 248 Seiten
ISBN 978-3-945224-12-0 – 18,00 EUR
„Um was es geht“. So lautet der Titel des einleitenden Kapitels, und bereits beim Lesen dieser Einleitung wird schnell klar, dass es um mehr geht als um alltägliche Kommunikation. Betrachtet werden vielmehr die zahlreichen Facetten der ‚Rechten Rede‘, die nach den Lehren des Buddhas angemessene Weise, mit Sprache umzugehen.
Alfred Weil, nach Jahrzehnten der Seminarleitung und Vortragstätigkeit, zweifelsohne ein Kenner der Materie, gestaltete den strukturellen Aufbau seines Buches vom Naheliegenden, uns Vertrautem bis hin zu entscheidenden Fragen der Existenz.
Wie ist der Begriff der Lüge zu definieren und ist eine „Notlüge“ in gewissen Situationen gestattet oder gar erforderlich? Diese oft diskutierten Fragen werden ebenso erörtert wie deren weitreichenden karmischen Konsequenzen. Ausführlich werden die konfliktreichen sprachlichen Aspekte wie entzweiende, verletzende, rohe und dumme Rede behandelt, ebenso die Varianten Ironie und Sarkasmus sowie, im Gegensatz hierzu, die vollendete Redeweise eines Buddha.
Fließend wird zum Bereich des Hörens übergeleitet. Thematisiert werden u.a. die Art des Zuhörens, die inneren Dränge nach Hörerlebnissen, die geistige Bewertung des Gehörten und dessen Folgen, vor allem aber der langfristige Effekt durch das Hören der Wahrheit von einem Erwachten und die damit einhergehende Veränderung von Ansichten und Weltbildern.
„Reden und Hören sind Wege und Mittel, Schweigen aber – in seinem tiefsten Sinn verstanden, ist das Ziel.“ Mit diesen Worten wird den Leserinnen und Lesern ein Kapitel eröffnet, in dem gezeigt wird, dass auch Schweigen „vielsagend“ sein kann und was es heißt, wenn, wie bei einem Buddha, auch die Triebe schweigen.
Richtig spannend wird es im letzten Kapitel, in dem dargelegt wird, wie „Sprache entscheidend ist für den Fortbestand oder Nicht-Fortbestand des Daseins als solches“ und damit für „das Weiterbestehen des Leidens oder dessen Beendigung“.
Wenn auch die behandelten Themen unverkennbar von eigenen Erfahrungen des Autors durchdrungen sind, so werden die wesentlichen Aussagen durch zahlreiche Lehrreden-Zitate aus dem Pali-Kanon belegt. Unabhängig von der buddhistischen Schulrichtung ist das Buch meines Erachtens äußerst hilfreich für all jene, die an tauglicher Kommunikation interessiert und für die tiefer gehende, existentielle Ebene der Thematik, d.h. für das Verständnis der Ich- und Welt- Erscheinung offen sind.
Manfred Schneider
Erschienen in: „Buddhismus aktuell“ – Nr. 4/2023 – S. 71-72
Die Macht der Sprache
Alfred Weil
Verlag Beyerlein & Steinschulte 2022
Paperback, 248 Seiten
ISBN 978-3-945224-12-0 – 18,00 EUR
Es ist selten, dass sich ein Buch so intensiv dem wichtigen Thema der rechten Rede zuwendet. Der bekannte Theravada-Lehrer Alfred Weil geht im hier in aller Ausführlichkeit nach. Die zahlreichen Originalquellen aus dem Palikanon werden sehr modern kommentiert und umgesetzt. Vielleicht glauben wir alle zu schnell, wir wüssten, was Lüge, entzweiende Rede, grobe Sprache und dumme Rede ist. Nun ja. In den vielen Beispielen finden wir zunächst sehr plakativ wieder, wie sich unsere Welt gerade im Sinne unheilsamer Rede verändert: alternative Fakten, Hassprediger, Shitstorm und die digitale Welt sind neue Entwicklungen, die ein zu eins zu den vier Ebenen der klassischen unheilsamen Rede passen. Nun meinen wir vielleicht – OK, aber das betrifft mich doch nicht. Der Autor geht dann weiter zu sehr subtilen Formen dieser vier Arten.
Bei der Lüge wird sich nun jeder ertappen: „Das macht doch jeder“, kleine Verdrehungen der Wahrheit zu unserem Vorteil, scheinbar harmlose Vorwände, denen wir teils selbst Glauben schenken. Wie steht es, wenn mich ein tatsächlich gespürtes Kopfweh zur Absage einer Verabredung bringt, obwohl es nicht der Rede wert oder wenigstens einer kleinen Tablette wert gewesen wäre, wenn ich das Rendez-vous wirklich gewollt hätte? Ist das so schlimm?
Der Buddha bezieht tatsächlich jede Kleinigkeit mit ein, wenn er einen wahrhaftigen Menschen so beschreibt: „Die Lüge hat er aufgegeben. Die Lüge widerspricht seinem Wesen. Die Wahrheit spricht er, der Wahrhaftigkeit ist er ergeben, standhaft, vertrauenswürdig, ohne in der Welt zu täuschen.“ (Majjhima Nikaya 39). Die Wahrheit wird für uns ganz natürlich, wir müssen gar nicht mehr darüber nachdenken. Das ist ein anspruchsvolles Ziel, denn es geht gegen starke Gewohnheiten. Lüge gilt tatsächlich als sog. Fessel, sie sitzt sogar tiefer als die bekannten fünf Hindernisse (Mögen, Nicht-Mögen, Trägheit, Aufregung, Zweifel, S. 31), die mit Achtsamkeit vergleichsweise leicht zu entdecken sind. Bei jeder gelungenen Zurückhaltung vor noch so feinen Unwahrheiten können wir spüren, dass innere Dissonanzen und latente Neigungen abnehmen. Es lohnt sich also, sich Schritt für Schritt um Wahrheit zu bemühen. Im Mahayana wird viel über wichtige Notlügen diskutiert (Schutz eines Lebens durch Lüge), und deshalb habe ich besonders danach gesucht, was dazu zu finden ist. Sie wird erwähnt, aber ohne einen Lösungsvorschlag. Das heißt also: Wir müssen wissen, dass jede Lüge, egal wie begründet sie sein mag, uns karmischen Schaden zufügt. Vielleicht ist es das im Notfall wert? Auf dieses Dilemma geht der Auto nicht ein, zu schnell würden wir wieder eine Entschuldigung finden.
Nachdem die Prinzipien bei der Lüge klargeworden sind, werden dir folgende Abschnitte kürzer. Entzweiende Lüge – auch wenn etwas wahr ist, reden wir wirklich so, dass die Person anwesend sein dürfte? Grobe Rede – versuchen wir, möglichst nicht zu verletzen? Dumme Rede – verschwenden wir unsere kostbare Zeit nicht sinn- und zwecklos in der Bindung an Vordergründiges? Immer wieder kommen wir auf allgemeine buddhistische Unterweisungen, die natürlich im engen Zusammenhang mit der rechten Rede stehen, z.B.: „Die Aufgabe besteht darin, sich einem überzeugenden Ideal so gut wie möglich anzunähern und es nicht umgekehrt auf das eigene menschlich-unzulängliche Maß zurechtzustutzen“ (S. 66). Hier ist kein Platz für Selbstvorwürfe, sondern für „das erhellende und erhebende Potenzial inhaltsreicher Unterredungen“ (S. 77).
Die folgenden Abschnitte des Buches betreffen interessiertes Hören im Wissen, dass alles subjektiv gefärbt ist. Der Abschnitt „Schweigen“ zeigt eine Vielzahl von Motiven zu schweigen. Vielleicht geht es vor allem um die Fähigkeit, auf sich beruhen zu lassen, was ein Eingreifen nicht zwingend erforderlich zu macht (S. 185). Im Schlusskapitel finden wir schließlich Überlegungen dazu, wie Sprache Nutzen bringen kann.
Ein Buch, das einerseits am Beispiel der Rede umfassend in den Buddhismus einführt, aber andererseits besonders in den ersten Kapiteln durch die Subtilität der Analyse auch langjährigen Praktizierenden hilft, sich tiefer mit dem Thema der rechten Rede zu beschäftigen und ihre Wahrnehmung auf diesem Gebiet zu verfeinern.
Cornelia Weishaar-Günter
Erschienen in: „Tibet und Buddhismus“ – Nr. 128/2023 – S. 75-76