Gebetsfähnchen, Meditation, Buddhastatuen, Mantras, Karma und Nirvana ... Für viele Menschen ist der Buddhismus längst kein Wort mit großen Fragezeichen und Unbekannten mehr. Anders als noch vor wenigen Jahren sind die Möglichkeiten, dieser Religion zu begegnen, recht zahlreich geworden. Nicht nur auf Urlaubsreisen im fernen Asien, sondern bei uns Zuhause. Die Medien haben manches zu dieser Entwicklung beigetragen, in den Buchläden findet sich eine breite Palette von Büchern, öffentliche Veranstaltungen zu buddhistischen Themen sind in vielen Städten längst eine Selbstverständlichkeit geworden. Aber vor allem: In Europa gibt es mittlerweile eine Vielzahl von praktizierenden Buddhistinnen und Buddhisten und von lebendigen Gemeinschaften. Natürlich sind diese Kontakte kaum mehr als eine erste vorsichtige Annäherung, und es bleibt offen, wie beständig sie sein werden und wie sehr sie in die Tiefe gehen können.
Die Berührungspunkte und die Formen der Begegnung mit dem Buddhismus sind unterschiedlich. Der bekannteste buddhistische Sympathieträger ist ohne Zweifel der Dalai Lama, dessen Ausstrahlung und menschliche Wärme einfach überzeugen. Viele sehen in ihm ein Vorbild an Authentizität und gelebter Spiritualität.
Für andere steht der Buddhismus für eine faszinierende fremde Kultur, die mit exotischen Bildern und einer farbenfrohen Folklore verbunden ist und uns bereichert. Man denkt dabei an Länder wie Tibet oder Nepal, Japan oder Korea, Sri Lanka, Myanmar oder Thailand.
Interreligiöse Dialoge werden nicht mehr nur unter den abrahamischen Religionen geführt. Der Kreis der Beteiligten ist weiter geworden, und auch fernöstliche Religionen sind zunehmend an diesem Austausch beteiligt. Westliche Wissenschaften - sei es die Psychologie, die Physik, die Medizin oder Philosophie und Ethik - lassen sich vom Buddhismus inspirieren. Der „Blick nach Osten" lohnt und verspricht fruchtbare Impulse.
Immer mehr Menschen erhoffen von der buddhistischen Religiosität einen kräftigen Impuls für die eher lahmende westlichen Spiritualität und damit einen positiven Anstoß für unsere Gesellschaft insgesamt. Sie sehen in den asiatischen Lehren ein unausgeschöpftes Reservoir von tiefgründigem Wissen und reicher Erfahrung.
Dem Buddhismus selbst geht es darum, der Wirklichkeit zu begegnen und sie verstehen zu lernen. (S 22,87) Im Kern ist die Lehre des Buddha eine Weisheitslehre, die Antwort gibt auf die entscheidenden Lebensfragen, die uns unterschwellig oder offensichtlich umtreiben. Sie ist eine Antwort auf unsere Sehnsüchte und Hoffnungen. Sie ist eine Antwort auf das universelle Glücksstreben aller Wesen und zeigt einen Weg zu Vollkommenheit, Frieden und Sicherheit.
Der Wirklichkeit begegnen bedeutet jedoch vertraute Denkmuster und liebgewordene Sichtweisen in Frage zu stellen. Die Lehren des Erwachten decken viele Scheinwahrheiten auf und rütteln an unumstößlich geglaubten Selbstverständlichkeiten. Wer sich auf sie einlässt, wird merken, dass er bisher Illusion und Täuschung zur Basis seines Lebens gemacht hat und nicht die Realität. Real sind letztlich nur zwei Gegebenheiten. Nicht etwa eine „objektive materielle Welt", nicht die „Mutter Erde" mit den vielfältigen Erscheinungen des Lebens. Real sind allein (karmisches) Wirken und das aus ihm hervorgehende Erleben. Säen und ernten, etwas tun und die Folgen davon erfahren. Was im Denken, Reden und Handeln von uns ausgeht und was als Erlebnisse zu uns zurückkehrt: das ist die Wirklichkeit, mit der wir es zu tun haben.
Wenn wir uns mit den Wahrheiten des Buddha beschäftigen, dann soll das kein Selbstzweck oder nur eine weitere interessante Freizeitbeschäftigung sein. „Nur von einem rede ich", formuliert es der Erwachte selbst, „vom Leiden und seiner Überwindung." (M 22) Was wir erleben, lässt uns nämlich nicht gleichgültig. Wir sind betroffen, nicht selten getroffen. Wir erfahren Momente des Glücks und der Trauer, der Freude und der Verzweiflung. Und wir wollen, dass sich das eine mehrt und das andere aufhört. Wie das gelingen kann und was dafür zu tun ist, ist das Thema dieses Buches.
Der Erwachte trifft diesbezüglich allerdings eine bemerkenswerte Feststellung: Freiheit, Vollendung und Unverletzbarkeit sind mit Denken, Reden, Handeln nicht erreichbar. Sie sind überhaupt nicht „machbar" oder „herstellbar". Keine weltliche Sache, kein irgendwie gearteter geistiger Zustand, keine Situation entspricht letztendlich unserer innersten Natur ganz und gar. Nichts Bedingtes und Gewordenes, Zeitliches und Erlebbares ist ohne Abstriche zufriedenstellend und erfüllend. Die Lösung ist woanders zu suchen und sie geht über alles bisher Erprobte hinaus.
Viele Aussagen des Buddha ähneln denen anderer Religionen und Weltanschauungen. Doch seine tiefsten Einsichten sind einzigartig und unvergleichlich. Er hat sie in vier wahrhaft bahnbrechenden Wahrheiten formuliert, die als buddhistisch im eigentlichen Sinn gelten können. Sie sagen: Unser Leben ist voller Unzulänglichkeiten und es erfüllt uns letztlich nicht, aber Vollkommenheit ist möglich. Für beides gibt es nachvollziehbare Gründe, und vor allem gibt es einen gangbaren Weg heraus aus allem Elend.
Geben wir uns keiner Täuschung hin. Der Anspruch des Buddha, des aus dem Daseinstraum „Erwachten", ist hoch. Wellness, angenehme Gefühle und eine gehobene Stimmungslage sind ihm nicht genug. Es geht nicht um „schöner leben" allein. Die buddhistischen Wahrheiten können uns im Alltag helfen, aber sie haben auch das „ganz andere" im Auge, sie führen am Ende über alles Vordergründige und Vorläufige hinaus.
Stellen wir uns ein beeindruckendes Bergmassiv vor. Auf seinem höchsten Gipfel ist die Aussicht unvergleichlich. Nichts beeinträchtigt und trübt sie. Und wer den Aufstieg erst einmal geschafft hat, kann sich ganz dem Frieden und der Erhabenheit dieses Anblickes hingeben. Er empfindet ein Gefühl der Freiheit und vergisst alle kleinmütigen Gedanken und Sorgen.
Seit mehr als 2500 Jahren macht der Buddha die Menschen auf diesen Gipfel aufmerksam. Er ist sowohl mit den beengten Lebensverhältnissen im Tal wie mit der erfrischenden Atmosphäre ganz oben vertraut. Er kennt die Pfade hinauf mit all ihren Windungen und Hindernissen, Abkürzungen und Umwegen; mit den schönen Ausblicken unterwegs, mit den steinigen Abschnitten und den möglichen Gefahren. Und er hat die Fähigkeit, uns die geeignete Route zu erklären.
Auch wenn der Buddha ein exzellenter „Wegweiser" ist, das Gehen ist unsere Angelegenheit. (M 107) Vielleicht lieben wir die Wiesen in der Ebene und möchten vom Hochgebirge gar nichts wissen. Gut. Vielleicht hören wir gerne Vorträge und begnügen uns mit glanzvollen Bildern und fesselnden Schilderungen über die Schönheiten der Natur. Auch gut. Unter Umständen jedoch fühlen wir uns ihnen so gepackt, dass es uns ohne Zögern und mit Macht nach draußen zieht. Umso besser, denn dann sind die vier Wahrheiten des Erwachten unsere Sache.