Himmel und Hölle?

Karma und die fünf Grundformen des Erlebens

Karma

Ist die Welt tatsächlich das, wofür wir sie gewöhnlich halten? Das, was die Naturwissenschaften, allen voran Physik, Chemie, Geographie und Biologie erforschen und beschreiben? Ist sie etwas Objektives, von uns Unabhängiges, für sich in Raum und Zeit Bestehendes? Die Karmalehre des Buddha führt zu einem anderen Resultat: Realität ist vor allem erlebte, wahrgenommene, bewusst gewordene und darüber hinaus geschaffene Realität. Sie erscheint uns in der Polarität von ‚Ich' und ‚Welt', die nur in wechselseitiger Abhängigkeit bestehen. Und beide sind Ergebnisse früherer Taten (Sanskrit: karma; Pali: kamma), die jetzt als Erlebnisse wieder in Erscheinung treten. Dasein ist für den Buddha ein Geschehen. Es ist ein sich fortsetzender Prozess, der einem einfachen Grundmuster gehorcht: einst Gewirktes jetzt erleben und auf dieses Erleben wieder reagieren; sich in einer bestimmten Situation befinden, sie beurteilen und mit Denken, Reden und Handeln antworten. Ursache und Wirkung. Unser Leben ist nichts anderes als das Zusammenspiel von Herausforderung und Erwiderung, Handlungen und gemachten Erfahrungen. Und ‚Welt' ist nur ein konventioneller Ausdruck für die Summe aller tatsächlichen und möglichen Erfahrungsinhalte.

Im Detail darzustellen, welches Tun und Lassen zu welchen Resultaten führt, ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt. Vielmehr möchte ich die Grundzüge der karmischen Zusammenhänge nennen und die hauptsächlichen Erlebnisweisen umreißen, denen die Wesen auf ihrer Wanderung durch die Höhen und Tiefen des Daseins (Pali: samsara) begegnen.

Fünf Daseinsbereiche - fünf Erlebnisqualitäten

Menschliches Dasein kennen wir aus unmittelbarer eigener Anschauung. Wir wissen, welche Freuden es bringt und welchen Kummer. Wir erfahren beides, mehr oder weniger angenehme und unangenehme Situationen. Man ist reich oder arm, gesund oder krank, beliebt oder verhasst, intelligent oder uneinsichtig. Man ist sozial hoch oder niedrig gestellt, lebt lange und glücklich oder nur wenige Jahre und in Verzweiflung. Der eine besitzt eine Eigentumswohnung, der andere ist obdachlos. Eine Lebenszeitbeamtin begegnet einer Dauerarbeitslosen. Der Akademiker lebt neben dem Analphabeten, und die querschnittsgelähmte Rollstuhlfahrerin ist mit einer Sportlerin befreundet. Wo sich die einen für die Lehren des Buddha interessieren, sind für die anderen ausschließlich Sonderangebote im Supermarkt von Bedeutung. Warum? Wie vielgestaltig Handeln ist - richtig und falsch, besonnen und blind, wohlwollend und engherzig, egoistisch und mitfühlend -, so mannigfaltig erscheint die äußere Erlebenswelt.

Doch ist Menschsein nur eine von mehreren möglichen Erlebnisformen, und tatsächlich ist die Existenz alles in allem so facettenreich wie das Karma: „Es gibt fünf Daseinsmöglichkeiten", so der Buddha: „die Hölle, das Tierreich, das Gespensterreich, die Menschenwelt und die Götterwelt. Diese Daseinsmöglichkeiten kenne ich, und ich kenne auch die Wege, die nach dem Tod dahin führen." (Majjhima Nikaya 12)

Diese Einteilung gibt natürlich nur eine erste und ungefähre Orientierung, und sie hilft uns nur weiter, wenn wir drei Hinweise des Buddha im Auge behalten: Alle Lebewesen möchten, dass es ihnen gut geht, und sie vermeiden Schmerz und Unwohlsein. Deshalb sind das Glück, das sie erfahren, und das Leid, das sie zu erdulden haben, der Dreh- und Angelpunkt all ihrer Bemühungen. Sie sind auch ein Maßstab für die Lebensqualität der einzelnen Daseinsbereiche. Der Erwachte sagt außerdem, dass er weiß, welche karmischen Ursachen in die jeweilige Erlebensdimension führen. Wer aus verwirrtem Geist heraus handelt, hat andere Konsequenzen zu erwarten als jemand, der mit einem klaren Kopf agiert. Taugliche oder untaugliche ethische Maßstäbe, niedrige oder hohe Motive haben ebenfalls unterschiedliche Folgen. Und der Buddha bekräftigt schließlich, dass er alle diese Daseinsmöglichkeiten selbst genau kennt. Er spricht aus Erfahrung und nicht, weil er eine blühende Phantasie hat oder sich auf das Hörensagen oder irgendwelche Spekulationen verlässt.

Zunächst schildert er ein negatives Extrem, das nach unserem Sprachgebrauch meist ‚Hölle' genannt wird: „Ich durchschaue das Herz eines Menschen und erkenne, dass er infolge seines Lebenswandels nach dem Tod in Leid und Qual, an Stätten der Pein, in die Hölle gelangen wird, und später sehe ich ihn mit himmlischem, klarem, übermenschlichem Blick, wie er in der Hölle nichts als Qual, Pein und Schmerz erduldet. Das geschieht so wie in diesem Gleichnis: Da ist eine mannstiefe Grube voll glühender Kohlen ohne Flammen und ohne Rauch. Geradewegs auf diese Grube zu wandert ein in der Sonnenglut erhitzter, ausgedörrter, dürstender Mann. Ein scharfsichtiger Mann, der ihn erblickt, sagt voraus, dass jener auf seinem Wege zu der Kohlengrube kommen wird, und später sieht er ihn, wie er, in die Grube gefallen, dort nichts als Qual, Pein und Schmerz erduldet." (a.a.O.)

‚Hölle' wird als eine Lebenssituation charakterisiert, in der Wunsch und tatsächliches Erleben in einem diametralen Gegensatz zueinander stehen. Was ich will und ersehne, tritt nicht ein, sondern das genaue Gegenteil. Wo ich Glück möchte, muss ich nur schlimmste Schmerzen ertragen. In dem Gleichnis wird dem Dürstenden auf seiner Wanderung kein erfrischendes Getränk, sondern nur zusätzliche Hitze und Glut zuteil. Unsere Medien berichten fast täglich über Stätten der Qual, die mühelos auf unserem Planeten zu finden sind. Sie haben viele Gesichter. Massenvernichtungslager, Krieg und Bürgerkrieg, Folter und Vertreibung, Vergewaltigung und Erniedrigung sind einige ihrer Namen. Und kaum erträglichen Leiden sehen sich auch Menschen ausgesetzt, die unter quälenden körperlichen Krankheiten, schweren Depressionen oder bitterer Einsamkeit leiden.

Was ist die karmische Ursache für eine Welterscheinung, die alles verweigert, was man braucht? In der alle Begegnung zu einer äußerst qualvollen Erfahrung wird? In der immer nur das Gegenteil von dem passiert, was man ersehnt? Höllische Welt ist Projektion und Ergebnis von höllischen Antrieben. Wo Hass und Aggression herrschen, wo sie lange Zeit und hemmungslos ausagiert werden, wird als karmische Frucht in diesem Leben oder nach dem Tod ein Inferno heranreifen. Innerlich und äußerlich. Wer tötet, quält, verletzt, mit Absicht und innerer Genugtuung seinen Mitwesen übel mitspielt und ihnen willentlich schadet, schafft sich selbst mit der Zeit eine solche seelische Spannung, dass er später unter diesem Druck selbst unsagbar leiden muss. Aber nicht nur das, die gesamte (äußere) Weltwahrnehmung wird schließlich danach. Wer jetzt ein ‚Teufel in Menschengestalt' ist, kann später nur ein gepeinigter Peiniger sein, für den sich alles zum Schlimmsten wendet.

Eine dem entgegengesetzte karmische Saat führt zwangsläufig an das andere Ende der Erlebnisskala. Dorthin, wo ausschließlich Glück und Zufriedenheit winken. Das ist der ‚Himmel', und das ist paradiesisch: die höchste Übereinstimmung von Wunsch und Erfüllung: „Eines anderen Menschen Herz durchschaue ich und erkenne, dass er infolge seines Lebenswandels nach dem Tode in himmlische Welt gelangen wird, und später sehe ich ihn mit himmlischem Blick, wie er in himmlischer Welt nichts als Glück erlebt. Das geschieht so wie in diesem Gleichnis: Da ist ein Sommerpalast mit luftiger, wohlgeglätteter Terrasse, die mit einem Geländer versehen ist; die Fenster sind überschattet. Dort steht ein Ruhelager, weich und bequem gepolstert, mit wollenen Decken und zarten Gazellenfellen behängt, zu beiden Seiten purpurne Kissen. Geradewegs auf diesen Palast zu wandert ein in der Sonnenglut erhitzter, ausgedörrter, dürstender Mann. Ein scharfsichtiger Mann, der ihn erblickt, sagt voraus, dass jener auf seinem Wege zu dem Palast kommen wird, und später sieht er ihn, wie er auf dem Ruhelager auf der Terrasse des Palastes nichts als Glück erlebt." (a.a.O.)

Wie ergeht es dem Wanderer in der Wüste jetzt? Nach wie vor erfüllt ihn der Wunsch nach Wohlergehen und Zufriedenheit, die Aussicht auf eine Pause, auf Stärkung und Schutz treibt ihn vorwärts. Aber wie anders stellt sich jetzt die vorgefundene Situation dar. Gegen die Sonnenglut gibt es ein schützendes Dach, der Erschöpfte kann sich auf einer Terrasse ausruhen, alles in dem Landhaus kommt seinen Bedürfnissen entgegen. Die Situation ist wohltuend und harmonisch.

Die Welt zeigt sich von ihrer positiven, gewährenden Seite, weil das einstige Tun großzügig war. Wirken und Wirkung stimmen wie immer überein. Wer auf Harmonie bedacht ist, wird konfliktfreie Begegnungen haben, der Wohlwollende wird Freundlichkeit und der Freigebige Reichtum und Erfüllung finden. ‚Himmel auf Erden.' In diesen Augenblicken brauchen wir nicht das Geringste zusätzlich zum Glück, wir haben, was wir brauchen. Vielleicht gibt es die Hölle auf Erden häufiger als paradiesische Zustände, aber wenigstens für eine kurze Zeit haben wir vielleicht einen Geschmack davon bekommen: im Jubel über einen errungenen Erfolg, in der Erfüllung eines lange gehegten Herzenswunsches, im Gefühlsüberschwang einer Liebesbeziehung oder auch im stillen Entzücken beim Anblick einer schönen Landschaft.

Zwischen diesen beiden extremen Erfahrungswelten, die ihrerseits natürlich noch alle denkbaren Abstufungen und Variationen kennen, lassen sich die weiteren leicht einordnen. In unserem Text heißt es: „Eines anderen Menschen Herz durchschaue ich und erkenne, dass er infolge seines Lebenswandels nach dem Tode in das Gespensterreich gelangen wird, und später sehe ich ihn mit himmlischem Blick, wie er im Gespensterreich viel Qual erduldet. Das geschieht so wie in diesem Gleichnis: Da steht auf schlechtem Boden ein Baum mit spärlichem Laub, der nur dürftigen Schatten wirft. Geradewegs auf diesen Baum zu wandert ein in der Sonnenglut erhitzter, ausgedörrter, dürstender Mann. Ein scharfsichtiger Mann, der ihn erblickt, sagt voraus, dass jener auf seinem Wege zu dem Baum kommen wird, und später sieht er ihn, wie er im Schatten des Baumes sitzt und viel Qual erduldet." (a.a.O.)

Der moderne Mensch kann mit dem Wort Gespenst nichts anfangen. Er kennt es nur aus Kindergeschichten, aus obskuren okkultistischen Berichten oder gruseligen Erzählungen. Doch ist es gar nicht so schwer, sich in ‚gespenstisches Dasein' einzufühlen. Das Bild vom schütteren Baum, der kaum Schatten auf den Verdurstenden wirft, ist Hinweis genug. Hier ist eine seelische Verfassung großer Bedürftigkeit gekennzeichnet, die nur seltene und unzulängliche Befriedigung findet. Sie fehlt nicht ganz wie in der ‚Hölle', aber sie bleibt ein Tropfen auf dem heißen Stein. Innere Leere, ödes Empfinden, gelangweiltes und unerfülltes Umherirren, rastloses Suchen und beständige Unruhe kennzeichnen diesen Gemütszustand.

So fühlt sich das trostlose Getriebensein des Süchtigen an, der in eine tiefe Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen gekommen ist und nur noch für und von seltenen kurzen und schalen Freuden lebt. Nichts anderes ist gespenstisches Sein nach dem Tod. Nur mit dem Unterschied, dass dann der grobstoffliche Körper und mit ihm ein wichtiges Instrument fehlt, um über den Sinneskontakt mit der Welt den vielen noch vorhandenen sinnlichen Bedürfnissen nachzukommen. Der Weg, der dahin führt? Die eigenen Ansprüche pflegen und vermehren, aber versäumen, auch anderen etwas zukommen zu lassen; am vordergründig Erfreulichen kleben und die Chance der Entwicklung inneren Reichtums und innerer Fülle verpassen. Haben wollen, aber selbst nichts hergeben. Engherzigkeit, Neid und Geiz schaffen eine Welt des Mangels und der Not.

Eine fünfte Seinsweise dagegen ist uns auf eine gewisse Weise sehr nahe: die des Tieres. Es ist ein Mitwesen aus unserem Lebensumfeld und uns vertraut, auch wenn wir uns seine innere Verfassung kaum anschaulich genug vorstellen können. Der Buddha beschreibt sie in seinem Gleichnis so: „Da ist eine mannstiefe Grube voll Jauche. Geradewegs auf diese Grube zu wandert ein in der Sonnenglut erhitzter, ausgedörrter, dürstender Mann. Ein scharfsichtiger Mann, der ihn erblickt, sagt voraus, dass jener auf seinem Wege zu der Jauchengrube kommen wird, und später sieht er ihn, wie er, in die Grube gefallen, dort Qual, Pein und Schmerz erduldet." (a.a.O.)

Elend und Bedrückung dominieren auch hier. Aber das Besondere ist jetzt die Dumpfheit und Aussichtslosigkeit der Situation. Die Jauchegrube ist gleichbedeutend mit Schmutz und üblem Geruch. Sie steht als Sinnbild für die Unmöglichkeit, einen Weg der spirituellen Reinigung zu gehen. Wer in dieses Loch geraten ist, ist ständiger Besudelung ausgesetzt und unfähig, sich weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen. Das Tier kennt keine Moral, es handelt instinktiv seinen Bedürfnissen gemäß, nicht nach ethischen Grundsätzen. Die trübe Jauche macht blind, sie lässt nicht zu, dass der Blick klar und hell wird. Erkenntnis und Weisheit fehlen, der Geist bleibt dem Unmittelbaren, vordergründig Sinnlichen verhaftet. Richtige Orientierung und Aussicht auf Überwindung der hoffnungslosen Situation gibt es fast nicht. Alle Aktivität ist impulsiv, triebgebunden und nicht vernunftbestimmt; sie kreist beständig um das Gleiche. Kein größeres Gefängnis als das der Tiere kenne ich, sagt der Erwachte.

Im Übrigen besitzen nur Menschen und Tiere einen groben materiellen Körper und erleben eine feste stoffliche Welt, die sie erst mit dem Tod verlassen. Bis dahin sind sie an die Gesetze von Raum, Zeit und Kausalität der Materie gebunden. Mit dem Blick auf die Körperlichkeit sind Tiere für uns diesseitige Wesen, alle anderen aber jenseitige.

Wo ist die ‚Hölle', wo der ‚Himmel', wo das Zuhause der ‚Gespenster'? Nach den Aussagen des Buddha ist nirgendwo eine ‚objektive' Welt vorhanden, die ‚an sich' besteht. Tatsächlich lassen nur eine so oder so geartete Herzensbeschaffenheit und das aus ihr hervorgehende karmische Wirken die verschiedenen Daseinsräume und Daseinsträume erscheinen. Aus unsichtbaren psychischen Kräften geht alles Sichtbare hervor. Ebenso verhält es sich mit dem Realitätsgehalt der fünf skizzierten Daseinsmöglichkeiten. Solange Verlangen, Ablehnung und Irrtum in unterschiedlichen Graden und Formen da sind, so lange bringen sie verschiedene Erlebnisdimensionen hervor. Wie im Traum der Nacht unbewusste seelische Tendenzen ein imaginiertes Ich in einer imaginierten Umgebung herausspinnen, entwirft die Psyche Himmlisches und Höllisches, Menschliches, Gespenstisches und Tierisches.

Noch einmal: göttliches Sein

Der Mensch ist keineswegs die Krone der Schöpfung, wie er gerne glauben möchte. Sicher gibt es viele untermenschliche, aber noch weit mehr und unvergleichlichere übermenschliche Daseinsformen, für die die summarische und plakative Bezeichnung ‚himmlisch' steht. Sie sollen noch einmal näher betrachtet werden. Sich göttliches Leben wie ein übersteigertes, ideales menschliches Leben vorzustellen, wie ein märchenhaftes Schlaraffenland oder wie den wonnetrunkenen Olymp der griechischen Sage, ist sicher nicht falsch. Der Buddha selbst legt es nahe, und wir sollten uns klar machen, dass der Magier Geist tatsächlich die schrecklichsten und die beseligendsten Bilder hervorzaubern kann. Doch ist ein derartiges Verständnis noch viel zu begrenzt.

Um die Spielarten höherer Bewusstseinsverfassungen besser zu verstehen oder wenigstens erahnen zu können, müssen wir die menschliche Erlebniswelt noch etwas genauer untersuchen: Unsere gewöhnliche Erfahrung ist dualistisch. Subjekt und Objekt, Innen und Außen, Raum und Zeit sind die Pole, die sich wechselseitig bedingen und unseren Wahrnehmungshorizont bestimmen. Erkennende und empfindende Lebewesen bewegen sich in einer gegenständlichen Umwelt. Wir Menschen leben von der Begegnung mit all dem, was sich ‚vor unseren Augen' abspielt. Die Kontakte mit den Sinnesobjekten über die Sinnesorgane bringen uns Befriedigung oder Enttäuschung, Freude oder Trauer.

Das alles ist (oder scheint) so selbstverständlich, dass wir es ohne weiteres als das Leben und die Wirklichkeit schlechthin ansehen und eine Alternative für uns außerhalb des Vorstellbaren liegt. Tatsächlich ist auch die von dem Buddha genannte himmlische Daseinsweise bis jetzt noch Teil einer Welt der sinnlichen Bedürfnisse und ihrer Befriedigung. Auch die Gottheiten der Sinnensphäre empfinden noch die Zweiheit von Ich und Welt, sie sehen sich als wahrnehmende Wesen in einer gegenständlichen Umwelt.

Doch kann selbst dieser höchste Bereich der sinnlichen Begegnungswelt (Pali: kama-loka) überstiegen werden. Das tun jene Wesen, die Freude und Erfüllung in keiner Weise mehr im Äußeren suchen und als Götter der ‚Welt der Reinen Formen' (Pali: rupa-loka) nur noch aus dem eigenen inneren Wohlbefinden leben. Sie sind der Welt des sinnlichen Verlangens entwachsen. Für sie sind die wechselvollen Gefühle nicht vorhanden, die wir im Umgang mit den sinnlich erlebbaren Objekten haben. Sie suchen deshalb die angenehmen Dinge nicht und fürchten die unangenehmen nicht. Sie wohnen in einem beglückenden inneren Frieden. Solche Gemütszustände nennt der Erwachte brahma-vihara, ‚göttliche Verweilungszustände'. Sie sind ‚göttlich', weil in ihnen das zur vollen Reife gelangt ist, was es unter Menschen in nur sehr beschränktem Maße gibt: liebende Güte und Freundlichkeit, Erbarmen und Mitempfinden, Freude und Heiterkeit, Gelassenheit und Gleichmut. Die besondere Eigenheit dieser Geistesverfassungen: Sie schaffen nicht nur Harmonie und Frieden im näheren oder weiteren Umfeld, sondern auch in den Menschen selbst, die sich in ihnen befinden.

In einer Meditationsanleitung deutet der Buddha einen solchen Zustand an: „Da durchdringt einer mit seiner liebevollen Gesinnung (erst) eine Himmelsrichtung, (dann) ebenso die zweite, dritte und vierte. Und so durchdringt er nach oben und nach unten und horizontal die ganze Welt an allen Stellen vollständig mit umfassender, großer, alles Maß überschreitender friedfertiger, liebevoller, freundlicher Gesinnung. Wie ein kräftiger Muschelbläser alle vier Himmelsrichtungen mühelos mit dem Schall durchdringt, so bleibt keine Schranke für die Entfaltung solcher liebevollen Gesinnung, die den Geist (von der Begrenztheit des Individuums) erlöst. Das ist der Weg, der zu Brahma, zur Vereinigung mit ihm führt. Ein solcher durchdringt auch mit mitleidsvoller Gesinnung, mit freudiger Gesinnung, mit Gleichmut (erst) eine Himmelsrichtung, (dann) ebenso die zweite, dritte und vierte ..." (Digha Nikaya 13)

Dem Karmagesetz gemäß können nur solche Wesen nach ihrem Tod in die rupa-Welt gelangen, die sich zuvor innerlich bereits dahin entwickelt haben. Der Erwachte nennt hier die geistige Haltung, die schon zu Lebzeiten brahmische Eigenschaften gewinnen lässt: die Entfaltung eines keine Grenze setzenden gütigen, erbarmenden, heiteren und erhabenen Gemütszustandes. Wenn diese rupa-Götter noch Formwahrnehmungen haben, hegen sie doch keine Zuneigung oder Abneigung ihnen gegenüber. Sichtbares und Hörbares sind für sie nur noch gesehene Formen und Farben bzw. gehörte Töne, ohne dass sie Mögen oder Nichtmögen hervorrufen können.

Bei den Göttern der arupa-Welt oder des formfreien Daseins, einer noch einmal weit darüber stehenden Art von Wesen, gibt es nicht einmal mehr das. Ihr innerer Friede ist so vollkommen, dass sie weder Neigung noch Fähigkeit zu sinnlichen Kontakten haben. Ja, die Unterscheidung von innen und außen, hier und dort, Subjekt und Objekt macht keinen Sinn mehr. In der formlosen Existenz (Pali: arupa-loka) fehlt die sinnliche Wahrnehmung vollständig, es bleibt lediglich ein unnennbares Empfinden innerer Stille und Erhabenheit. Hier ist Dualität völlig aufgehoben; ein Ich und etwas von einem Ich Wahrgenommenes hat aufgehört zu sein. Dies ist ein Zustand, der zu entfernt von dem unseren ist, als dass er mit Worten hinlänglich beschrieben werden könnte.

Samsara und Nirvana

Das Christentum spricht von ewiger Verdammnis für den, der ein sündhaftes Leben geführt und die Gnade Gottes nicht gefunden hat. Den Geretteten verheißt es ewiges Leben. Dem Karmagesetz entspricht dieser Gedanke nicht. Jede Ursache hat vielmehr eine nur begrenzte Wirkung, jede Tat eine ihr entsprechende beschränkte Folge. Wer sich eine bestimmte Daseinsweise geschaffen hat, wird sie in der Art und für die Zeitdauer erleben, die diesem Wirken zukommt. Deshalb gibt es kein unbegrenztes Verbleiben in den jeweiligen existentiellen Zuständen. Weder in den qualvollsten noch in den angenehmsten. Leben kennt nur Veränderung, Kommen und Gehen, niemals dauerhaftes Verweilen. So ist der Weg der Wesen ein ununterbrochenes Auf und Ab. Ist die süße oder die bittere Frucht vergangener Tat geerntet, wandern sie weiter, um nun das inzwischen Gesäte entgegenzunehmen. Sie waren, wir alle waren im Laufe der äonenlangen Daseinswanderung schon Mensch und Tier, Gespenst, Teufel, Gott - unnennbar oft.

Dieser Daseinskreislauf der Wesen (Pali: samsara) ist ohne erkennbaren Anfang und für den Unwissenden auch ohne Ende. Wir können uns keine Vorstellung davon machen, welche Wegstrecke wir schon hinter uns haben. Nur ein Gleichnis kann uns eine Ahnung vermitteln: „Nehmen wir an, es befinde sich da ein gewaltiger Felsenberg, eine Meile lang, eine Meile breit und eine Meile hoch, ohne Löcher und Höhlungen, ganz aus einem Stück. Diesen nun riebe jedes Mal nach Verlauf eines Jahrhunderts ein Mann nur einmal mit einem seidenen Tüchlein. Da würde, ihr Mönche, jener gewaltige Felsenberg dennoch schneller vergehen als eine Weltperiode. So lange dauert eine Weltperiode. Von solchen Weltperioden aber habt ihr viele durchlaufen und durchwandert, viele hunderte, viele tausende, viele hunderttausende. Wie aber ist das möglich? Unausdenkbar ist ein Anfang dieser Daseinsrunde, nicht zu entdecken ein Beginn der von Unwissenheit gehemmten und von Begehren gefesselten Wesen, die immer wieder den Samsara durcheilen, den Samsara durchwandern." (Samyutta Nikaya 15,5)

Die Wesen taumeln blind durch die Existenz, weil sie deren Gesetz nicht kennen. Aus Unwissen reagieren sie auf ihre Erlebnisse mit Verlangen oder Ablehnung und schaffen sich so eine neue Zukunft. Eine erfreuliche, wenn sie zufällig oder aus Einsicht gutes Karma schaffen; eine schlechte, wenn ihr Tun und Lassen aus Blindheit übel ist. Haben sie die Höhe ihrer Möglichkeiten erreicht, vergessen sie im Genuss den Weg, der sie nach oben geführt hat, und sie sinken ab. Einen Ausweg ins Freie kennen und finden die wenigsten.

Erinnern wir uns noch einmal an die Metapher vom Wanderer. Selbst bei dem schönsten Aufenthalt, den er bis dahin jemals erreicht hat, findet er nicht, was er eigentlich sucht und braucht: Wasser, um seinen Durst zu stillen.

Die sprudelnde Quelle und den kühlen Lotosteich gibt es nicht im Samsara. Sie sind in den fünf Daseinsbereichen nicht zu finden und durch Denken, Reden und Handeln nicht zu erreichen. ‚Durst' kann nicht für immer gelöscht werden, denn er kommt wieder. Verlangen endet nicht durch seine Befriedigung, es steigt früher oder später erneut auf. Die Daseinswanderung der Wesen muss deshalb zu einem Ziel ganz anderer Art führen, soll sie denn wirklich einmal zu einem glücklichen Ende kommen. Nur wenn karmisches Wirken ganz aufhört, ist das möglich. Nur wenn der Geist völlig frei wird von der Beeinflussung durch Mögen und Nichtmögen. Nur wenn ‚Gier, Hass und Verblendung' verlöschen, tritt Nirvana, jenes ganz Andere und Unvergleichbare ein. Den Ausblick darauf eröffnet der Buddha ebenfalls. Er, der diesen Weg vorangegangen ist und aus dem Wissen eines vollkommen Erwachten spricht: „Eines anderen Menschen Herz durchschaue ich und erkenne, dass er infolge seines Lebenswandels durch die Auflösung jeglicher Beeinflussbarkeit die Befreiung des Herzens, die Befreiung durch Weisheit schon in diesem Leben erkennen, wirklich erreichen und erleben wird, und später sehe ich ihn, wie er schon in diesem Leben das Ziel erreicht hat und nichts als Glück erlebt. Das geschieht so wie in diesem Gleichnis: Da ist ein Lotosteich mit klarem, frischem, kühlem Wasser, durchsichtig, leicht zugänglich, erquickend, und nahe dabei ein tiefer Waldgrund. Geradewegs auf diesen Lotosteich zu wandert ein in der Sonnenglut erhitzter, ausgedörrter, dürstender Mann. Ein scharfsichtiger Mann, der ihn erblickt, sagt voraus, dass jener auf seinem Wege zu dem Lotosteich gelangen wird, und später sieht er ihn, wie er den Lotosteich erreicht, dort gebadet und getrunken, alle Qual, Pein und Erschöpfung überwunden hat, im Waldgrunde sitzt oder liegt und nichts als Glück erlebt." (Majjhima Nikaya 12)

 


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