Manchmal scheint es, als kehrten wir dorthin zurück, wo wir noch nie zuvor waren. Als erinnerten wir uns an Worte, die uns noch keiner gesagt hat. Als fänden wir etwas wieder, ohne es je verloren zu haben.
Ganz im Gegensatz zu vielen meiner Schulfreunde interessierte mich nie, wie elektrische Geräte funktionieren, was das Innenleben eines Autos ausmacht oder warum Flugzeuge nicht vom Himmel fallen. Die Fragen, die mich nicht in Ruhe ließen, bezogen sich auf das Lebens und seine verborgenen Seiten, auf das Geheimnis dieser Welt und meiner selbst. Woher kommt das alles? Warum ist es gerade so, wie es ist? Und vor allem, was bedeutet es? Verstehen, Einblick, Wissen - das waren die Leitsterne, an denen sich mein Leben schon ganz früh ausrichtete. Ich wollte einen Überblick bekommen, das Ganze sehen, Zusammenhänge begreifen.
In jungen Jahren sprach mich deshalb ein eher breites Spektrum von Themen und Wissensgebieten an: die Natur und ihre Gesetze ebenso wie Sprachen und Literatur oder die Sozial- und Geisteswissenschaften. Von Philosophie und Religion erhoffte ich mir letztendlich am meisten, ihnen traute ich die tiefsten Einsichten zu. So begann ich zunächst mein Studium der ev. Theologie, wechselte aber aus mehreren Gründen dennoch bald zu Pädagogik, Psychologie und Politik.
Nie zweifelte ich daran, "im nächsten Semester" oder "nach dem nächsten Buch, Seminar oder Examen" der Erfüllung meiner Anliegen etwas näher gekommen zu sein, um sie am Ende vollends zu erreichen: der Beantwortung aller Fragen beziehungsweise der Lösung aller existentiellen Probleme. Leider war das aber nicht der Fall. Im Gegenteil. Mit jeder gefundenen Antwort taten sich nur noch mehr Lücken in meinem Geist auf. Hier war offensichtlich der Schlüssel zu der Tür ins Freie nicht zu finden.
Mein intellektuelles Suchen kam indessen nicht von ungefähr. Ihm lag eine lange, unbestimmte und unbestimmbare Fremdheit dem Leben gegenüber zu Grunde, eine Art von existentieller Ungeborgenheit und Unzufriedenheit. Dabei hatte ich keineswegs eine unglückliche Kindheit. Im Gegenteil, ich wuchs in einer intakten Familie auf und hatte alle Fürsorge und Unterstützung, die meinen Eltern möglich war. Gerade, was meine Interessen und Bildungswünsche betraf.
Und dennoch war da ein Gefühl der Heimatlosigkeit, das Empfinden, noch nicht angekommen und wirklich Zuhause zu sein. Dass dieses menschliche Leben ein kostbares Geschenk sein sollte, das uns Gott in seiner Güte zugedacht hatte, verwunderte mich mehr als es mich erfreute. Das kann nicht schon alles sein!, dachte ich immer. Es muss doch noch etwas "dahinter" geben; etwas, das größer, freier, befriedigender ist und uns wirklich glücklich macht. Ein Leben wenigstens ohne all diese doch letztlich ziel- und sinnlosen Alltagsbanalitäten, ohne innere Rastlosigkeit und Unfrieden!
Ließ sich eine Lösung für dieses Dilemma in der widersprüchlichen Vielfalt von Meinungen und Ansichten in dieser Welt aufzuspüren, wenn es sie denn überhaupt gab? Den Heuhaufen sah ich vor mir, wo aber war die berühmte und in diesem Fall so wichtige Stecknadel?
Als ich mein Universitätsstudium 1969 begann, war die stürmischste Zeit der 68er-Bewegung gerade vorüber, und die durch die Studentenbewegung angestoßenen politischen Auseinandersetzungen ebbten langsam ab. Ein zunehmender Teil der Jugend suchte die Revolution jetzt weniger auf der politischen Bühne als im eigenen Geist. Gesellschaftliche Unterdrückung und Ausbeutung schienen mit einem Male nicht mehr wichtiger als die verborgenen Tiefen des Bewusstseins. Marx und Engels blieben Ehrfurcht gebietende Größen, aber Freud, Jung und Adler hatten ebenfalls Entscheidendes zu sagen. Und die wirklichen Insider begannen von der asiatischen Philosophie und Religion zu schwärmen. So jedenfalls nahm ich es wahr.
In jenen Jahren machten sich die ersten Karawanen auf die beschwerliche Reise nach Asien, und auch ich war 1972 das erste Mal mit schulterlangen Haaren und Rucksack unterwegs. Zunächst führte die Tour über den vorderen Orient nach Afghanistan, Pakistan, Indien und Nepal. In den späteren Jahren kamen Thailand, Sri Lanka, Burma, Bangladesch, Malaysia, Singapur und Indonesien dazu, um die Stationen zu nennen, die mich in unmittelbare Tuchfühlung mit dem Buddhismus brachten.
Besonders in dem für Ausländer erst Mitte der Siebziger zugänglichen Ladakh im Nordwesten Indiens kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Landschaft, Menschen und Klöster dieser Bergregion waren gleichermaßen atemberaubend - in jedem Sinn des Wortes. Natürlich werde ich nie die Maskentänze von Hemis vergessen oder die zaghaften und scheuen Blicke in das Innere der Klöster und Schreinräume.
Meine Frau und ich waren als "Touristen" mit Fotoapparat und neugierigen Augen angereist und in "Klein Tibet" voll auf unsere Kosten gekommen. Aber was hatte es mit diesem Amerikaner auf sich, dem wir im Kloster von Spituk begegneten und der sich unverhofft vor einer dieser äußerst seltsam anmutenden Gestalten an der Wand zu Boden warf und seine Verbeugungen machte? Verstand der etwa, was diese bizarren Malereien zu sagen hatten? Und vor allem, bedeuteten ihm diese Figuren persönlich etwas? Ersteres konnte ich mir vorstellen, Letzteres (noch) nicht.
Unvergessen werden mir sicher auch unsere Reisen durch Südostasien bleiben, wo neben Thailand und Sri Lanka das "Lieblingsland des Buddha", Burma, den nachhaltigsten Eindruck hinterließ und mich mit dem Theravada bekannt machte. Zu den frühen und ursprünglichen Formen des Buddhismus gewann ich im Laufe der Zeit schließlich eine tiefe Vertrautheit und Nähe und in der Folge mein eigentliches geistiges Zuhause.
In Deutschland hatte ich da meinen Fehlversuch mit dem Autogenen Training bereits hinter mir. Das konnte doch auch überhaupt nicht funktionieren, so lange still zu sitzen und sich auf bestimmte Partien seines Körpers zu konzentrieren! Und dabei noch wahrzunehmen (oder sich einzureden?), wie die Arme schwerer und schwerer und Beine immer wärmer wurden? Bald danach war für einige Zeit Yoga angesagt. Das ging schon etwas besser, weil dieses Training mit mehr fassbarer körperlicher Aktivität verbunden war. Schade nur, dass die Absicht, doch möglichst schnell voranzukommen und wenigstens einige der verheißenen Ziele auf kürzestem Wege zu erreichen, in kaum geeigneten Hauruck-Übungen mit den entsprechenden Zerrungen und Schmerzen endete. Trotzdem erschien mir Yoga damals vielversprechender als die buddhistischen Lehren. Handelte es sich dabei offenkundig um eine durchaus zugängliche und handfeste spirituelle Praxis, während mir der Buddhismus bis dahin entweder als bloßer (ritueller) Kult oder als reine Philosophie begegnet war. Aber doch immerhin als eine Weltanschauung, die neue und weite geistige Horizonte zu eröffnen versprach. Und so begann denn meine intellektuelle Auseinandersetzung mit der buddhistischen Weisheitslehre.
Sicher, die heute kaum mehr überschaubare Vielfalt an Büchern gab es damals nicht. Dennoch waren eine ganze Reihe guter Veröffentlichungen zu den unterschiedlichsten Themen zu haben. Vor allem konnte ich sogar in meiner Muttersprache nachlesen, was der Buddha vor 2500 Jahren selbst gesagt und gelehrt hat. Ein Weihnachtsgeschenk - die fünf Bände der Angereihten Sammlung aus dem Palikanon - wurde 1979 der Ausgangspunkt meines "Studiums". Sofort empfand ich die intuitive Gewissheit, etwas ganz Großartigem auf der Spur zu sein, auch wenn ich nicht wusste, was das war. Die Energie, bis heute nicht nachzulassen und weiter und weiter zu fragen und zu forschen, rührte von dieser unverrückbaren Überzeugung.
Und jede weitere Bekanntschaft mit den Wahrheiten des Dharma festigte die Nähe zu diesem "Phänomen Buddha" und seiner Lehre. Hier war "jemand", der unzweifelhaft wusste, der frei war, der dem Leben und der Wirklichkeit mit vollkommener Souveränität gegenüberstand, der als Lehrer unendlich viel geben konnte und nichts dafür haben wollte oder für sich brauchte. Aus seinen Worten sprach für mich unmittelbare, von jedem Zweifel freie Erfahrung - über die naheliegenden und über die letzten Dinge. All das mündete schließlich in dem überraschten und stillen Eingeständnis mir selbst gegenüber: "Im Grunde meines Herzens ich bin ein Buddhist!"
Naivität nimmt mitunter erstaunliche Formen an. In diesem Fall besonders. Dass ausgerechnet mir das passieren musste: als Europäer einer so großartigen, aber doch völlig fremden und für uns Westler sicher unpassenden Weltanschauung zu verfallen! Bestimmt war ich der einzige weit und breit, dessen war ich mir gewiss, und demgemäß behielt ich meine "Errungenschaft" zunächst einmal für mich.
Ende der Siebziger und Anfang der Achtziger war der Buddhismus in Deutschland gesellschaftlich gesehen noch keine nennenswerte und beachtete Größe oder gar so etwas wie eine Modeerscheinung, wie er es rund zwei Jahrzehnte später werden sollte. Aber dennoch brauchte man eigentlich nur die Augen aufzumachen, um zu sehen, dass keineswegs die Stunde Null des Dharma in unserem Land geschlagen hatte. Schon ein ganzes Jahrhundert zuvor hatten sich die ersten Männer und Frauen auf den Weg gemacht und manches in Bewegung gebracht.
Immer häufiger stieß ich auf deren Spuren und auf die ihrer Erben und Nachfolger. Ich fand heraus, wer sie waren, wo sie lebten und was sie taten. Bald knüpfte ich erste Kontakte und bemerkte zu meiner großen Freude und Erleichterung, wie viel an Vorarbeit von diesen Pionieren schon geleistet war, um den ersten Schritten von Neuankömmlingen Orientierung und Halt zu geben.
Mit einem Male waren auch meine Lehrer da, denen ich das Weitere und Entscheidende verdanke. Allen voran Paul Debes, der in Jahrzehnte langer Arbeit den Palikanon durchleuchtet und durchdrungen und vielen die Botschaft des Buddha mit seiner "Übersetzungsarbeit" zugänglich gemacht hat. Seine Einblicke und die Tiefe seines Verständnisses schienen mir immer unerschöpflich, und auf seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit gründet mein Verständnis des Dharma. Und Ayya Khema will ich nennen, über die ich den Zugang zur Meditation fand und die mir immer wieder einschärfte, dass man die Wahrheit letztlich nicht erlesen, sondern nur erfahren kann. Bei ihr habe ich gelernt, nach innen zu schauen, auf den eigenen Geist zu achten und ihn ruhiger und klarer werden zu lassen. Sie brachte mir bei, dass intellektuelles Verständnis notwendig ist, aber eben nicht alles.
Im Laufe der Zeit waren es dann auch immer mehr Gleichgesinnte und Mitübende, denen ich auf Vorträgen, Seminaren und Retreats begegnete und deren Gesichtern bald vertraut und gern gesehen waren. Aus wenigen und verstreut lebenden buddhistischen Suchenden war mittlerweile ein Netz von Gruppen, Gemeinschaften, Initiativen und Zentren geworden. Fast zwangsläufig brachte mich dann meine "Vorgeschichte" als politisch und gesellschaftlich engagierter junger Mann zum "organisierten Buddhismus", der auf Bundesebene seit Mitte der 50er Jahre in der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) Gestalt annahm. Als Einzelmitglied trat ich diesem Dachverband Mitte der Achtziger Jahre bei, als die Buddhistische Gemeinschaft in der DBU (BG) gegründet wurde.
Mich sprach gerade der schul- und traditionsübergreifende Ansatz an beziehungsweise die Bandbreite der dort vertretenden Anschauungen und Erfahrungen sowie der Versuch, über die engen Grenzen des "eigenen" Verständnisses hinaus etwas Gemeinsames zu finden. Bei den vielfältigen Aufgaben einer solchen innerbuddhistischen Ökumene waren - wie es schien - einige meiner Fähigkeiten und Kenntnisse willkommen. Jedenfalls war meine Mitarbeit möglich, und von 1993 bis 2001 war ich sogar der Vorsitzende (Sprecher) der DBU. Zudem engagierte ich mich von 1990 bis 2002 als Redaktionsmitglied ihrer Zeitschrift "Lotusblätter".
Je mehr ich mir darüber klar zu werden versuche, wie ich zum Buddhismus gefunden habe, umso mehr muss ich erkennen, dass dieses Finden noch gar nicht abgeschlossen ist. Und je mehr ich nach Spuren in der eigenen Vergangenheit suche, umso mehr zeigt sich, dass sie weiter zurück reichen als ursprünglich angenommen.
Lange konnte ich es mir nicht erklären, warum mich Abbildungen des Buddha oder Buddhastatuen von Anfang an so außerordentlich faszinierten und berührten. Wenn sie mir in den Tempeln und Pagoden gegenüberstanden, aber genauso als Fotografien in Büchern oder Zeitschriften. Diese Kunstwerke waren aus Stein, Bronze oder Holz, und dennoch strahlten sie etwas aus, das völlig jenseits von Form und Materie zu sein schien. Was war das für ein Lächeln, das die Buddhas in Meditationshaltung ausstrahlten? Woher stammte die erstaunliche Souveränität ihrer Erscheinung? Wie war ein derartig friedvoller Zustand in einer so friedlosen, oft feindseligen Welt möglich? Und: Woher kam die Vertrautheit mit diesen Figuren und die
mit ihnen verbundene Sehnsucht: "So müsste man selbst sein!"
Aufklärung kam erst reichlich später und auf eine unvorhergesehene Weise. Als Kind hatte ich gelegentlich mit meinen Eltern auf dem Fahrrad einen Ausflug in das unweit meiner Heimatstadt gelegene Schloss Wolfsgarten bei Darmstadt gemacht. Der dazu gehörende Park war einmal im Jahr anlässlich der Rhododendron-Blüte für das Publikum geöffnet und zog die Menschen aus der näheren Umgebung an. Dort entdeckte ich als Erwachsener - und inzwischen Buddhist - unverhofft wieder, was mich in ganz jungen Jahren offenbar tief beeindruckt hatte: eine etwa lebensgroße Jugendstilplastik aus Stein, die einen meditierenden Buddha zeigte - mit europäischen Zügen! Der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen hatte sie nach einer Indienreise bereits 1904 anfertigen lassen. Ein Kunstwerk, das seine Begegnung mit der asiatischen Kultur und dem Buddhismus dokumentierte, aber von seinen Landsleuten viele Jahrzehnte nur als exotischer Farbtupfer in unserer christlich geprägten Kulturlandschaft wahrgenommen wurde. Weder die blaublütigen Nachfahren des Großherzoges noch die Bewohner der Region konnten mit jener seltsamen Figur etwas anfangen. Für mich jedoch wurde gerade dieser Buddha ein entscheidender Wegweiser.
Eher unbewusst als gewollt, wurde diese frühe Erfahrung zu einem Kristallisationspunkt. An sie knüpfte sich alles Weitere an, und mit den Jahren begann sich aus den vielen einzelnen Puzzlesteinen von Besorgnissen und Hoffnungen dem Leben gegenüber, von Ahnungen und Erwartungen an die Zukunft, von Annäherungen und Begegnungen mit dem Buddhismus sowie von Bemühungen und Erfahrungen in der spirituellen Praxis ein immer deutlicheres und vollkommeneres Bild abzuzeichnen.
Im Buddhadharma fand ich das, was ich intuitiv gesucht hatte und was meinen (letztlich sehr hohen) Ansprüchen genügte: Den "Buddha" empfand ich als eine "Autorität", zu der ich volles Vertrauen fassen und für dessen Aussagen ich mich ohne innere Zweifel und Vorbehalte öffnen konnte. In seiner Lehre fanden Spiritualität und Wissenschaftlichkeit zueinander, "Glaube" und "Wissen" waren nicht länger sich ausschließende Gegensätze. Eine überzeugende Darstellung unserer Lebenswirklichkeit und eine umfassende spirituelle Praxis ergänzten sich. Zudem versprach die dazu gehörende systematische Schulung des Geistes in der Meditation eigene religiöse Erfahrungen, über die sonst nur gesprochen wurde. Am meisten jedoch haben mich die bestechende Klarheit und die unübertroffene Tiefe des Dharma und seine befreiende Qualität zu gewinnen vermocht, für die ich keine Parallele kenne.
Wie oft haben wir das schon erlebt: Wir sind für etwas Feuer und Flamme, und nach kurzer Zeit schon können wir uns unsere einstige Begeisterung selbst nicht mehr erklären. Wie blass wurde mir jedenfalls schon manches, was mir einst am Herzen lag oder sogar lebensnotwendig schien. Ganz anders in diesem Fall. Je länger ich "dabei" blieb, umso fester wurde mein Vertrauen, umso stetiger meine Praxis und selbstverständlicher mein Bezug zum Buddhismus ganz allgemein.
Und doch stimmt das nicht ganz, denn das eine oder andere an "Buddhistischem" habe ich inzwischen ebenfalls hinter mir gelassen. Vielleicht ich bin im sogar im Begriff, dem Buddhismus ganz den Rücken zu kehren. Aber keine Sorge, das hat nichts mit einem Sinneswandel, mit "Abfall" oder gar "Verrat" zu tun. Vielmehr geht es darum, soviel wie möglich an "Ismus" abzustreifen, unnötigen Ballast und hinderliches Beiwerk aus dem Wege zu räumen, um Platz für das "Eigentliche" zu schaffen.
Wie ich zum Buddhismus fand? Aus dieser Perspektive betrachtet, bin ich wieder dabei, ihn zu entdecken - wirklicher vielleicht oder tiefer. Etwa indem ich versuche, trennschärfer auseinanderzuhalten, was die buddhistische (und asiatische) Kultur ausmacht und was die zeitlose Wirklichkeits- und Weisheitslehre des Erwachten; zu unterscheiden, was über den Buddhismus geschrieben, gelehrt und gedacht wird, und was die authentischen Aussagen des Buddha selbst beinhalten; was intellektuelles und abstraktes Wissen "über" den Dharma ist und was das Eintauchen in dessen Realität, die Umgestaltung des eigenen Lebens und des eigenen Herzens bedeuten.
Bei diesem Prozess der Umorientierung halfen und helfen die Enttäuschungen, von denen es in all den Jahren natürlich ebenfalls manche gegeben hat und geben musste. So hatte ich schlicht und einfach zur Kenntnis zu nehmen, dass Buddhistinnen und Buddhisten in aller Regel eben keine Buddhas sind, sondern Frauen und Männer mit allen ihren erfreulichen und weniger erfreulichen Eigenschaften. Menschen eben, mit Stärken und Schwächen, die sich allenfalls anschicken, einen spirituellen Weg zu begehen, wie ich ja nicht minder.
Ich hatte mich damit auseinanderzusetzen, wie schleppend sich die eigenen "Fortschritte" einstellten, wenn sie denn überhaupt sichtbar wurden. Hatte ich nicht schnell alles Wesentliche verstanden, einen guten Willen und genügend Elan? Eines konnte oder wollte ich offensichtlich lange nicht wahr haben: dass sich der menschliche Geist ein fernes Ziel setzen und darüber trefflich reflektieren und reden kann, aber dass damit ist noch kein Schritt wirklich getan ist. Wohl konnte ich die glanzvollen Ideale, von denen allenthalben die Rede war, bald zu den meinen machen, aber meine ganze Person mit all ihren verfestigten Gewohnheiten, Denk- und Verhaltensmustern konnte an sie doch nur millimeterweise und im Schneckentempo herankommen.
Alles folgt seiner eigenen Gesetzmäßigkeit, gerade spirituelles Wachstum. Welchen Bedingungen es unterliegt, hat der Erwachte in allen Einzelheiten aufgezeigt, und wie wir mit ihnen umzugehen haben ebenfalls. Umfassend, schlüssig, jedem nachvollziehbar und frei von Irrtum. Der Buddhismus kennt Meinungen, Standpunkte, unterschiedliche Überzeugungen, der Dharma nicht. Er ist die Wahrheit. Buddhistinnen und Buddhisten können sich täuschen, Fehler machen und straucheln. Ein Buddha nicht. Der Buddhismus hat sich im Laufe der Jahrhunderte schon oft und beträchtlich gewandelt und nicht selten bedauerliche Fehlentwicklungen durchlebt, die Grundwahrheiten des Dharma keineswegs. Den Buddhismus habe ich schon vor vielen Jahren gefunden, jetzt möchte ich dem Dharma näher auf die Spur kommen.