Alfred Weil
Wann ich vom „Haus der Stille" das erste Mal gehört habe, weiß ich schon gar nicht mehr. Eigentlich ist dieser Name schon (fast) so lange in meinem Kopf, wie ich mich selbst als „Buddhist" empfinde. Und er hatte von Anfang an einen guten Klang: „Eine wahre Pioniertat damals, diesen Ort zu schaffen". „Ein schönes Haus und eine wundervolle Atmosphäre". „Dort hat echter Dharma noch seinen Platz." „Die Leute." „Und der Park ist so schön." „Schon erstaunlich, wie viele bekannte Lehrerinnen und Lehrer hier Seminare gegeben haben." „Ich liebe besonders die Teiche." So oder so ähnlich klingen die Stichworte noch nach, an die ich mich aus dieser frühen Zeit erinnere.
Doch wie die Dinge so liegen. Aus diesem Hörensagen wurde allzu lange kein lebendiger Kontakt. Irgendwie ergab es sich nicht, endlich einmal selbst nach Roseburg zu fahren, um das Haus, die Menschen und die Umgebung näher kennen zu lernen.
Und dennoch. Einmal war es soweit, die Sterne standen günstig. Ende der Achtziger-Jahre fand in Hamburg eine DBU-Versammlung statt, an der ich teilnahm. Zudem hatten meine Frau und ich vor, anschließend ein paar Tage an der See Urlaub zu machen. Da drängte sich der Gedanke geradezu auf, nach der Konferenz einen „spirituellen Abstecher" nach Roseburg zu machen.
Gesagt, getan - oder besser: versucht. Irgendwie lotste mich meine Frau mit Hilfe von Karten, Intuition und der nötigen Aufmerksamkeit auf die richtigen Wege, und nun stand unser Auto vor dem Grundstück. Aber was jetzt? Einfach so klingeln und fragen: „Dürfen wir einmal ..."? Das trauten wir uns nicht, denn wir waren weder bekannt hier noch angemeldet. Und unverrichteter Dinge gleich wieder wegfahren? Wozu dann die Mühe und der Umweg? Wir entschlossen uns schließlich zu einem Kompromiss und schickten uns an, wenigstens einen kurzen und stillen Rundgang durch den Park zu machen, um etwas Atmosphäre zu schnuppern.
Aber allzu weit kamen wir nicht. Ein jüngerer Mann mit leicht strenger Miene kam auf uns zu und machte uns mit Nachdruck deutlich, dass ihm unser Spaziergang gar nicht recht war. Gerade fand nämlich ein intensives Retreat statt, da passten Besucher wie wir nicht ins Konzept. Bald könnten die Meditierenden aus der Halle nach draußen kommen und durch einen solchen undisziplinierten Publikumsverkehr empfindlich gestört werden. Mit einem leicht strafenden Blick verwies uns also der buddhistische Erzengel aus dem kleinen Paradies.
Und doch war das der Beginn einer freundschaftlichen Beziehung. Denn Frank Wesendahl und ich begegneten uns in den kommenden Jahren regelmäßig bei den verschiedensten DBU-Treffen und kamen bestens miteinander aus. Und ich hatte bald die Gelegenheit, meine „karmische Schuld" als ungebetener Eindringling abzutragen.
Und das ging so: Bei einem der erwähnten Treffen saßen Frank und ich beim Frühstückstisch nebeneinander. Er klagte, dass er die ganze Nacht kein Auge zu gemacht hatte. Der Grund war leicht nachvollziehbar. In einem Schlafsaal ist immer mindestens ein Schnarcher dabei, der seinen Mitbewohnern die Nächte mitunter lang und den nächsten Tag anstrengend werden lässt. Doch für die kommende Nacht war eine Lösung in Sicht. Ich war ganz in der Nähe privat untergebracht, und in dem Doppelzimmer des kleinen Hauses war eines der beiden Betten frei. Das bot ich Frank an, der die Einladung auch gerne annahm. Er verließ die Gruppe schon recht früh an diesem Abend, denn da war einiges an Schlaf nachzuholen. Ich gab ihm meinen (den einzigen) Schlüssel, und der Gestresste machte sich auf den Weg. Wann ich später nachfolgte, habe ich nicht mehr in Erinnerung, aber sehr wohl die folgenden Szenen. Ich kam nämlich nicht in mein Zimmer. Einen Schlüssel hatte ich nicht mehr, die Wirtsleute waren außer Haus und Frank schlief den tiefen Schlaf des Gerechten. Alle Mühen, ihn wach zu bekommen oder sonst wie in das Haus zu gelangen, scheiterten. Kein Klopfen oder Rufen half, bloßes Warten auch nicht. Am Ende blieb mir nur der Rückweg in das Tagungszentrum - das Kamalashila Institut in Wachendorf - und der erwartungsfrohe Gang in den Schlafsaal. Ein Platz musste da ja frei sein. So ist eben das Karma von Eindringlingen: sie bleiben später einmal ausgesperrt, und sei es aus dem eigenen Zimmer.
Nun, ich habe diese Nacht überlebt. Sie war eine nicht eingeplante, aber nützliche Übung und gab später immer wieder Anlass zum Schmunzeln. Vor allem aber konnte ich froh sein, ein karmisches Hindernis beseitigt zu haben, das eine weitere Annäherung an das Haus der Stille womöglich verhindert hätte. Zu der kam es dann tatsächlich noch. Im Frühjahr 2006 sprach Angelika Wesendahl eine Einladung des Vorstandes aus, im Haus der Stille ein Seminar anzubieten. Eine ansehnliche Runde von Teilnehmerinnen und Teilnehmern setzte sich im Herbst schon desselben Jahres mit dem Thema „Tod, Sterben, Fortexistenz" auseinander. Das war nun Roseburg für mich aus einer anderen Perspektive - über mehrere Tage, in einer ganz anderen Rolle und vor allem uneingeschränkt willkommen.
Und wie es weiter ging? Mit der Frage: „Du, wie sieht es denn mit einem Termin im nächsten Jahr aus ...?" „Aber gerne, wie wäre es denn mit dem März?" Mein Fazit heute: Ende gut - alles gut.