Natürlich hat sich Andrea Liebers die spannende Geschichte mit Siri und Tissa ausgedacht. Aber durch ihre Abenteuer erfahren wir eine Menge über das Leben des Buddha. Er war tatsächlich eine geschichtliche Gestalt, auch wenn es oft unmöglich ist, die nüchternen Fakten von den zahlreichen Legenden um seine Person zu unterscheiden. Um das 6. Jahrhundert v. Chr. wird er in Lumbini, am Fuße des Himalaya im heutigen Nepal, geboren. Er erhält den Vornamen Siddhartha und sein Familienname ist Gautama. Als Sohn des Provinzfürsten Suddhodana und dessen Frau Maya gehört er dem angesehenen Adelsgeschlecht der Sakyer an. Am elterlichen Hof in Kapilavatthu verlebt Siddhartha eine unbeschwerte Kindheit. Er ist von materiellem Wohlstand umgeben und kann eine sorgfältige Ausbildung genießen. Seine Familie lässt ihm ihre uneingeschränkte Fürsorge zu teil werden, und als künftigem Herrscher steht ihm eine glänzende Zukunft bevor.
Doch kommt es zu einem unverhofften Bruch. Vier Ausfahrten in den nahe liegenden Park, die der junge Siddhartha mit seinem Wagenlenker unternimmt, stellen sein Leben völlig auf dem Kopf. Er, der bisher nur die Sonnenseite des Lebens in den väterlichen Palästen kennen gelernt hat, begegnet unterwegs hautnah Alter, Krankheit und Tod. Der Anblick eines schlotternden Greises, eines Siechen und eines Leichnams auf dem Weg zur Verbrennungsstätte erschüttert den Prinz zutiefst. Was ist das Leben wert, wenn diese dunklen Schatten auf ihm liegen, fragt er sich. Was bedeuten Reichtum und selbst königlicher Prunk angesichts von Schmerz und Jammer? Ein vierter Ausflug bringt allerdings einen hoffnungsfrohen Lichtblick. Siddhartha sieht einen heimatlosen Pilger des Weges ziehen, dessen abgeklärtes Gesicht und friedvolle Ausstrahlung ihm wie eine glückliche Verheißung vorkommen. Hat dieser Asket etwa die Todlosigkeit gefunden? Weiß er vielleicht, wie wir Kummer und Sorge für immer besiegen können? Die traditionelle Darstellung der vier Ausfahrten hat Andrea Liebers in den berührenden Szenen mit Amira und Yasodhara literarisch phantasievoll umgesetzt.
Nun ist der künftige Weg Siddharthas vorgezeichnet. Er will, ja er muss in die Hauslosigkeit ziehen, um künftig als wandernder Bettelmönch ein geistiges Leben zu führen. Er ist fest entschlossen, für sich und alle fühlenden Wesen Antworten auf die drängenden Fragen des Lebens zu finden. Im Alter von 29 Jahren vollzieht er diesen folgenreichen Schritt, obwohl er inzwischen mit Prinzessin Yasodhara verheiratet ist und ihm gerade sein Sohn Rahula geboren wird. In einer Vollmondnacht verlässt Siddhartha Haus und Familie, er ist ein Pilger auf der Suche nach der Wahrheit geworden.
Bei verschiedenen herausragenden Lehrern macht sich der junge Mann mit dem philosophischen und religiösen Wissen seiner Zeit vertraut. Alara Kalama und Uddaka Ramaputta, große Berühmtheiten ihrer Zeit, nehmen ihn als Schüler an. Er beschäftigt sich intensiv mit Yoga-Praktiken und übt sich in meditativen Versenkungszuständen. Eine Zeitlang führt er sogar ein streng asketisches Leben in abgelegenen Wäldern und mutet sich Entbehrungen und körperlichen Schmerz zu. Aber nichts von diesen mutigen Versuchen ist für ihn wirklich befriedigend. Er muss seinen eigenen Weg, den „mittleren Weg" zwischen hemmungslosem Genuss und nutzloser Askese finden. Einen Weg, der ein friedvolles Herz und einen wachen Geist vereint.
Mit 35 Jahren erreicht Siddhartha das ersehnte Ziel. In einem Wäldchen nahe dem kleinen Dorf Uruvela setzt er sich unter einer weit ausladenden Luftwurzelfeige nieder, um zu meditieren. Sein Entschluss ist unerschütterlich: Er wird nicht eher aufstehen, bis er zur höchsten Wahrheit gelangt ist. Und das kann auch Mara, der Versucher, Sinnbild des Bösen und Herr des Todes, nicht mehr verhindern. Wiederum in einer Vollmondnacht gelingt ihm der Durchbruch. Siddhartha ist ein Buddha, ein „Erwachter" geworden. Ein Mensch, der sein volles geistiges Potenzial entfaltet hat und von Gier, Hass und Unwissen frei ist. Es heißt, dass in der Nacht des Erwachens wie zu anderen wichtigen Gelegenheiten im Leben des Buddha eine gewaltige Erschütterung den gesamten Kosmos zum Beben bringt.
Zunächst neigt der Buddha dazu, sein Wissen für sich behalten. Er glaubt nicht, dass die Menschen die Wahrheit wirklich hören wollen und sie verstehen können. Doch Brahma, einer der mächtigsten und reinsten Gottheiten, kann ihn überzeugen, sie doch zu verkünden. So weiß es die Überlieferung. Nach anfänglichem Zögern beginnt der Buddha also mit seiner Lehrtätigkeit, und die nächsten 45 Jahre wandert er durch die weite Ebene des Ganges.Seine Anhängerschaft in allen Schichten der Gesellschaft wächst rasch. Er gründet einen Mönchs- und einen Nonnenorden, gewinnt aber noch weit mehr Anhänger, die ein ganz normales Leben mit Familie und Beruf führen. Sie unterstützen seine Bewegung in jeder Hinsicht. Sariputta und Moggallana werden seine beiden Hauptschüler, daneben Anuruddha, Upali und viele andere mehr. Die Könige Bimbisara von Magadha und Pasenadi von Kosala sind wichtige Förderer und tragen viel zur Verbreitung seiner Lehren bei.Nach 80 Jahren endet das Leben des Buddha. In Kusinara, der Stadt der Maller, geht er in das Nirvana, das große Verlöschen, ein und seine Gemeinschaft muss Abschied nehmen. Mit einer prächtigen Zeremonie wird sein Körper verbrannt und die Asche zu seinem Gedenken im ganzen Land verteilt.Einem weiteren berühmten Schüler und engen Vertrauten des Erwachten, dem ehrwürdigen Ananda, verdanken wir es zu einem großen Teil, dass die Worte des Buddha bis heute überliefert worden sind und in die heiligen Bücher des Buddhismus (Palikanon) Aufnahme gefunden haben. Ananda ist es, der eine Vielzahl von Ansprachen und Unterhaltungen des Buddha mit angehört und in seinem außerordentlichen Gedächtnis bewahrt hat.
Alle Wesen scheuen Schmerz und möchten Unannehmlichkeiten vermeiden, doch es gelingt ihnen nie ganz. Sie alle suchen Glück und Zufriedenheit, aber sie finden sie bestenfalls für kurze Dauer. Immer fehlt etwas zu wahrem und dauerhaftem Wohl. Damit will und kann sich der junge Prinz Siddhartha nicht zufrieden geben. Er muss ein Mittel finden, um Schmerz und Unvollkommenheit, um Alter, Krankheit und Tod völlig zu besiegen. Und er findet es.
In den „Vier Edlen Wahrheiten" hat der Erwachte seine tiefsten Weisheiten zusammengefasst. Die erste beschreibt, was in unserem Leben nicht in Ordnung ist, was uns weh tut oder uns unerfüllt lässt. Das ist die Wahrheit von der Unvollkommenheit und der Leidhaftigkeit des Daseins. Die zweite forscht nach dem Grund dafür und sie stellt fest, dass Unwissenheit und unrealistische Wünsche uns in Gefangenschaft und Unzulänglichkeit halten. Wer dagegen utopische Wunschträume und Unwissen beseitigt, der kann vollkommenes Glück erfahren, so sagt die dritte Wahrheit des Buddha. Und die vierte schließlich beschreibt mit dem „Edlen achtfachen Weg", was wir tun können, um tatsächlich von Sorgen und Kummer ganz frei zu werden.Nie behauptet der Erwachte, alle Wahrheit alleine zu besitzen. Er lobt wie viele andere große Lehrer Großzügigkeit und Gebefreudigkeit als hervorragende menschliche Eigenschaften. Er spricht davon, dass aus guten und schlechten Handlungen süße oder bittere Früchte heranreifen. Er bestätigt, dass es untermenschliche und übermenschliche oder himmlische Wesen gibt, auch wenn wir ihnen nicht selbst begegnen. Und er stimmt darin überein, dass die Wesen sterben und wiedergeboren werden und dass ungeahnte geistige Kräfte in ihnen verborgen sind.In manchem stehen die buddhistischen Lehren jedoch im Widerspruch zu den gängigen Auffassungen der damaligen Zeit. Gelegentlichen führen sie sogar zu Anfeindungen seitens der herrschenden und nicht selten neidischen Priesterschaft, der damals einflussreichen Brahmanen. Denn anders als viele religiösen Führer seiner Zeit baut der Buddha auf die eigene Erfahrung, das Selbstvertrauen und die Bemühungen jedes einzelnen. Er verurteilt alle unbewiesenen Glaubenssätze ebenso wie blindes Vertrauen und dummen Aberglauben. Auch die damals üblichen Tieropfer lehnt er entschieden ab.
Der achtgliedrige buddhistische Weg umfasst drei große Abschnitte: Weisheit, angemessenes Verhalten und Meditation. Er beginnt mit der Suche nach ungeschminkter Wahrheit. Nur wer sich in der Welt auskennt, wird sich in ihr zurechtfinden und kann auf Dauer schmerzliche Erfahrungen vermeiden. Es gilt vor allem die geistige Blindheit zu überwinden und alte Vorurteile über Bord zu werfen.
Das Richtige zu wissen allein genügt jedoch nicht. Man muss seine Einsichten auch in die Tat umsetzen und im Alltag erproben. Vor allem geht es darum, niemand willentlich zu schaden und zu verletzen oder das eigene Leben auf Kosten anderer zu genießen. Manchmal wundert man sich, warum sich nicht jeder ohnehin an die fünf ethischen Grundregeln hält, an denen sich alle Buddhistinnen und Buddhisten orientieren: nämlich nicht zu töten (auch keine Tiere); nichts zu nehmen, was einem nicht freiwillig und gerne gegeben wird; sich in Ehe und Partnerschaft nichts zu Schulden kommen zu lassen; nicht zu lügen und schließlich den eigenen Geist nicht mit Alkohol oder Drogen zu beeinträchtigen.Damit wir uns nicht missverstehen: Es kommt nicht darauf an, nur nach außen das Bild eines Saubermannes abzuliefern. Wirklich zählt die Absicht, warum wir etwas tun. Auf die innere Haltung kommt es an. Wenn sie von Gewaltlosigkeit und Rücksicht, von Wohlwollen und Freundlichkeit, von Großzügigkeit und Mitempfinden getragen ist, liegen wir richtig.Als Drittes erklärt der Erwachte, wie die Menschen Herz und Geist zum Guten verändern können. Wir sagen heute, wie man meditiert und sich in der Meditation unsere besten Eigenschaften entfalten. Wenn das gelingt, werden wir feststellen, dass unser Geist klarer und stiller wird; dass wir die Dinge besser beurteilen können und wir nicht wegen jeder Kleinigkeit in Verwirrung geraten oder missmutig werden. Am Ende entdecken wir sogar das Glück, das die meisten von uns draußen in der Welt suchen, in uns selbst.
Vor rund 2500 Jahren wurden die Lehren des Buddha zunächst in Indien bekannt. Im Laufe der Jahrhunderte haben sie jedoch das Gesicht Asiens insgesamt gewandelt und bemerkenswerte Kulturen hervorgebracht. Aber längst sind diese Weisheiten auch nach Europa gekommen und finden seit gut 100 Jahren zunehmend Beachtung. Heute gibt es beispielsweise in Deutschland rund 200.000 Buddhistinnen und Buddhisten, zu denen allerdings auch zahlreiche Asiaten zählen, die hier aus verschiedenen Gründen eine neue Heimat gefunden haben. Der Dialog mit den anderen Religionen, allen voran dem Christentum, hat begonnen und sogar die westliche Wissenschaft entdeckt ihr Interesse an den tiefen Einsichten des Erwachten.