Den christlichen Kirchen laufen die Gläubigen davon. Der Buddhismus hingegen erfreut sich im Westen wachsender Sympathien. Was suchen gerade die Europäer in einer Denktradition, die in einer fernen Zeit in einer fremden Kultur entstand? Ein Gespräch mit Alfred Weil, dem langjährigen Sprecher der deutschen Buddhisten.
Den christlichen Kirchen laufen die Gläubigen davon. Der Buddhismus hingegen erfreut sich im Westen wachsender Sympathie - auch bei Prominenten wie Roberto Baggio, Richard Gere oder Tina Turner. Eine Mode?
Eine Zeitlang, auf dem Höhepunkt des Medieninteresses, schien der Buddhismus tatsächlich zur Mode zu werden - so wie heute Inline-Skaten in ist, gestern die Dinosaurier und vorgestern Aerobic. Warum nicht auch einmal etwas östliche Spiritualität? Diese Buddhamode ist glücklicherweise vorbei. Dass wie dennoch stetigen Zulauf haben, hängt auch damit zusammen, dass der Buddhismus in Deutschland noch sehr jung und vital ist, also weniger organisiert und bürokratisiert als das Christentum in Europa, aber auch als der Buddhismus in seinen asiatischen Herkunftsländern.
Weniger organisiert - heißt das nicht auch weniger verbindlich für den Einzelnen?
Unverbindlich ist das nur, solange man bloß eben mal reinschnuppert. Es wird sehr verbindlich, wenn man merkt, dass Buddhismus harte „Arbeit" ist, nämlich die Arbeit an sich selbst. Man muss sich kennen lernen und verwandeln - und das ist wohl die schwerste Arbeit, die es überhaupt gibt.
Ist der Buddhismus, weil er so schön exotisch ist, nicht auch eine religiöse Projektionsfläche für Menschen aus dem Westen? Dies vermutet - obwohl er ein erklärter Sympathisant des Buddhismus ist - Reinhart Hummel, der ehemalige Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Stuttgart. Die Kritiklosigkeit gegenüber dem Buddhismus gehe so weit, dass Konvertierte dort auch Erscheinungen akzeptierten, die sie im Christentum strikt ablehnten - zum Beispiel Andachtsübungen, religiöses Symbole oder die Autorität religiöser Führer.
Ich halte die Kritik im Prinzip für berechtigt. Wenn jemand von seiner „alten" Religion enttäuscht ist, neigt er allzu leicht dazu, eine für sich neu entdeckte Religion zu idealisieren. So wie man, wenn man frisch verliebt ist, in seiner Begeisterung die Fehler des Partners zunächst übersieht. Hier müssen wir als Buddhisten in Deutschland noch sehr viel lernen. Wir müssen sehen, dass Buddhismus als organisierte Religion nach 2500 Jahren auch viele Schwächen hat - und auch buddhistische Führer sind nicht fehlerfrei. Wir dürfen dort nicht kritiklos Verhaltensweisen akzeptieren, die wir hier ablehnen.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel die Frage von Autorität. Viele Buddhisten im Westen akzeptieren einen Lehrer, der aus Asien kommt oft anstandslos als religiöse Autorität, während sie bei einem Europäer viel mehr nachfragen, zweifeln und widersprechen würden, statt blind zu glauben. Dahinter steckt dann in der Tat ein psychisches Bedürfnis nach religiösem Schutz, das aber an der Sache vorbeigeht. Im Buddhismus kommt es eben nicht nur auf Vertrauen oder Glauben, sondern auf Wissen, Einsicht und nachvollziehbare Erfahrung an. „Schau dir die Wirklichkeit an" forderte der Buddha, „und glaube nicht nur, weil es die Tradition sagt und was andere dir vorgeben."
Lehrt der Buddhismus denn nicht auch Hingabe an den Glauben und damit eben auch an einen Lehrer oder Guru, der einem diese Lehre vermittelt?
Es ist beides. Man kommt in dieser Lehre nur voran, wenn auch das Herz dabei ist. Aber wenn umgekehrt nur das Herz dabei ist, fehlt das Wissen - auch um Gefahren und Missstände.
Beißt sich das nicht: sich hingeben, aber gleichzeitig kritikfähig bleiben?
Nein. Hingabe ist die Bereitschaft, offen und vorbehaltlos hinzuhören und zu sehen, was ist. Die Kunst ist, das Erlebte gleichzeitig mit wachem Verstand zu überprüfen.
Beim Prüfen buddhistischer Angebote haben Interessierte eine reichhaltige Auswahl, denn der Buddhismus ist keine geschlossene Religion, sondern auch hierzulande in vielen Strömungen und Schulen vertreten. Das kommt dem postmodernen Bedürfnis nach einem spirituellen Supermarkt entgegen, in dem sich jeder die für ihn passenden Lehren und Praktiken zusammensuchen kann: ein wenig Theravada-Buddhismus für den Bildungsbürger, Mahayana für verkappte Christen, Zen für Bewusstseinsfreaks und Tantra für Esoteriker.
Zunächst ist die Tatsache, dass hier in Europa die verschiedenen buddhistischen Traditionen nebeneinander bestehen, tatsächlich eine Chance. Es kann also jeder - je nach Mentalität und Veranlagung - im Buddhismus finden, was er braucht. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass der konsumorientierte Westler heute hier, morgen dort hineinriecht und ewig auf der Suche bleibt, weil er nirgendwo ernsthafte Übung und Anstrengung investiert. Wenn jemand nach Grundwasser sucht, ist es vielleicht sinnvoll, zunächst ein paar Probebohrungen vorzunehmen - aber irgendwann sollte man sich für ein Stelle entscheiden, an der man in die Tiefe geht.
Gibt es vielleicht schon ein spezifisch europäisches Bohrloch, eine abendländische Variante des Buddhismus, die den hiesigen Bedürfnissen entgegenkommt?
Historisch hat der Buddhismus immer wieder verstanden, sich fremden Kulturen anzupassen. Deshalb finden wir heute so viele Gesichter der buddhistischen Religion. In historischen Zeiträumen wird sich auch ein Buddhismus mit europäischen Gesicht entwickeln.
Wie könnte dieser Buddhismus aussehen?
Demokratischer im Umgang zwischen Laien und Ordinierten; gleichberechtigt, was die Rolle der Frau angeht; und bezogen auf die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit. Im Westen wollen wir wissen, warum wir etwas tun, wir suchen nach Begründungen. Deshalb müsste es bei uns auch eine engere Verbindung geben zuwischen Religion und Wissenschaft.
Was sind die Kernbestandteile der Lehre, die auch ein Mensch aus dem Westen für sich akzeptieren muss, wenn er sich einen Buddhisten nennt?
Die Grundlage ist, dass man die so genannten fünf Shilas einhält. Das sind folgende Verhaltensregeln: niemanden zu töten oder zu verletzen; nichts zu nehmen, was einem nicht gegeben wird; kein sexuelles Fehlverhalten; nicht zu lügen; und keine berauschenden Mittel, die den Geist trüben. Ds sind aber keine Gebote, sondern nützliche Regeln, die man als Übung auf sich nehmen sollte. Der Buddhismus ist keine dogmatische Lehre, sondern zeigt Möglichkeiten, wie man sich auf einer Skala der Vervollkommnung weiterentwickeln kann.
Ein Schlüsselbegriff des Übungsweges ist Achtsamkeit. Was verstehen Buddhisten darunter?
Achtsamkeit heißt, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie tatsächlich sind. Dahinter steht die Behauptung, dass wir im Alltagsbewusstsein keinen tiefen Einblick in die Realität haben, sondern nur die Oberfläche der Dinge zur Kenntnis nehmen. Die Methode zu tieferer Wahrnehmung ist die der Meditation. Es geht darum, die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken. Normalerweise schaut man nach draußen in die Welt; bei der Meditation blick man nach innen und beobachtet, was mit seinem Körper, seinem Geist, seinen Gefühlen geschieht. Man entdeckt eine neue Seite der Realität.
Wenn man regelmäßig praktiziert, gibt es ab einer bestimmten Stufe der Konzentration eine Erfahrungsmöglichkeit, die das normale Bewusstsein transzendiert. Das normale Bewusstsein lebt von den Sinneserdfahrungen - Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten. Der Buddhismus lehrt, in der Meditation all diese Sinneswahrnehmungen - und auch das Denken - zeitweise einzustellen. Was bleibt, ist eine innerer Wahrnehmung der Stille, des Friedens und der Unabhängigkeit.
Der Buddhismus zieht aus dieser mystischen Erfahrung unter anderem den Schluss, dass die Psyche nicht an den Körper gebunden ist und sich nach dem Ableben des Leibes an einen anderen Körper heftet. Läuft diese Vorstellung nicht auf einen Leib-Seele-Dualismus hinaus, also eine Trennung von Geist und Körper, die in den Kognitionswissenschaften längst als überwunden gilt?
Die buddhistische Vorstellung ist nicht, dass Geist und Körper nichts miteinander zu tun haben. Sie stehen in einer engen Wechselwirkung zueinander. Die geistig-seelischen Prozesse sind zwar verbunden, aber nicht abhängig von diesem grobstofflichen Körper. Nach buddhistischer Vorstellung können die psychischen Prozesse neue Körper „erzeugen". Das ist Psychosomatik zu Ende gedacht!
Der Geist erzeugt Materie?
Die Hauptschwierigkeit besteht darin, wie man die Realität auffasst. Wir Westler neigen dazu, eine „objektive" Welt „da draußen" einem Ich gegenüberzustellen, das diese Welt wahrnimmt: In mir entsteht ein Bewusstsein von der Welt.
Der Buddhismus ist da sehr viel radikaler und zerstört unseren naiven Realismus. Er sagt, Bewusstsein ist die Dimension, in der Realität erscheint. Auch die materiellen Dinge, die wir sehen, existieren real nur als bewusst gewordene, als erlebte Dinge. Nur im Bewusstsein - nirgendwo sinst - erscheint auch ein Ich.
Wir Westler sagen: Wenn dieser Körper tot ist und zerfällt, dann muss doch auch das Bewusstsein weg sein, das wir im Hirn ansiedeln. Der Buddha sagt: Umgekehrt - der Körper ist nicht Träger des Bewusstseins, sondern eine Erscheinungsform der Psyche. Wenn der Körper wegfällt, ist der Gesamtprozess Psyche noch da.
Aber der „reale" physikalische Körper mit dem „realen" physischen Gehirn, das meine Psyche und mit ihr die gesamte erlebte Welt hervorbringt, existiert doch außerhalb meines Bewusstseins. Diese Sicht der Dinge ist nach dem buddhistischen Ansatz nichts als Spekulation. Was „jenseits" unseres Bewusstseins ist, können wir nie wissen. Selbst die Vorstellung eines „Jenseits-des-Bewusstseins" ist eine Vorstellung innerhalb unseres Geistes. Das heißt, wir können nicht einmal denkerisch über die Erfahrung hinaus. Ob es jenseits des Erlebens eine Welt gibt, kann mir völlig gleichgültig sein. selbst wenn es sie gäbe, würde ich sie nie erfahren. Ich erfahre ja immer nur das, was in mir als Wahrnehmung, Empfindung, Gefühl aufsteigt. Dies ist die einzige Dimension, mit der ich umgehe.Der Buddha lehrt, innerhalb dieser Welt der Erfahrung auf das Entstehen und Vergehen der Dinge zu achten. Dann wird man sehen, dass alle Dinge dieser Welt die Eigenschaft haben, nach einer bestimmten Gesetzmäßigkeit aufzutauchen und wieder zu verschwinden. Alles, was ich denke und an geistiger Energie erzeuge, geht nicht verloren, sondern manifestiert sich irgendwann als äußere Erscheinung, als Erlebnis. Die Welterscheinung ist nach buddhistischer Sicht nur die Spiegelung psychischer Vorgänge. Das ist die Grundlage der Lehre der Wiedergeburt: Solange psychische Prozesse vorhanden sind, produzieren sie Welt- und Ich-Erfahrung.
Der Buddhismus behauptet sogar, dass das „Ich" eine Illusion und Täuschung sei, die man mithilfe der Meditation überwinden müsse. Wie ist das zu verstehen? Glauben Buddhisten, dass sie selbst als Person gar nicht existieren?
Denken Sie doch einmal an das Beispiel aus der Physik. Ein Atomphysiker weist nach, dass Materie fast nur aus leerem Raum besteht - oder aus Energie. Und dennoch setzt er sich ohne Angst auf einen Stuhl. Einfach weil er Erfahrungsebenen unterscheidet. Für jeden vernünftigen Menschen ist das Ich-Erlebnis im Alltag eine Selbstverständlichkeit. Jeden Morgen weiß er schon beim Klingeln des Weckers: Hier bin ich, und dort ist die Welt. Da die meisten Menschen nur diese Art der Erfahrung kennen, schließen sie daraus, dass diese Dualität etwas selbstverständliches und Unverrückbares ist.
Nun sagt der Buddha: Schau dir die Realität an, mache bestimmte meditative Übungen, und du wiest feststellen, dass dieser Zustand „Ich" und „Welt" nur einer unter anderen ist. Es gibt meditative Zustände, in denen weder „Ich" noch „Welt" erfahren werden und in denen trotzdem Bewusstsein besteht. Jeder, der das nicht erfahren hat, wird sagen: „Das kann ich mir nicht vorstellen." Stimmt. Kein Kind kann sich zum Beispiel vorstellen, was Erwachsensein bedeutet - einfach weil ihm die Erfahrung fehlt. Ein Hauptanliegen des Buddhismus heißt deshalb; Spekuliere nicht über die Welt, sondern praktiziere! Schule deinen Geist und schau nach, ob du verifizieren kannst, dass es wirklich so ist.
Wieso soll ausgerechnet dieser in der Meditation erfahrene Bewusstseinszustand „höherwertig" sein? Warum sollen wir überhaupt unser Alltagsbewusstsein „transzendieren", wo wir mit ihm doch meistens ganz gut zurechtkommen?
Das ist die Kernfrage jeder Religion. Alles, was wir wahrnehmen - dieser Alltag, dieses Leben, dieses Bewusstsein -, hat einen Mangel, es befriedigt uns nicht ganz. Wir sind immer auf der Suche nach Lebensumständen oder nach inneren Zuständen, die besser sind als das, was wir kennen. Die einen freuen sich auf den nächsten Urlaub, die anderen auf ein prächtiges Auto, wieder andere suchen ihr Glück in der Karrieren. Aber niemand findet einen Zustand der Befriedigung. Selbst wenn man dann und wann einen wirklich glücklichen Moment erlebt, geht er wieder vorbei. Nun sind wir aber Wesen, die glücklich sein wollen, und zwar optimal und für immer. Unser Erleben hält diesem Wunsch jedoch nicht stand,
Deshalb gab der Buddha die Formel aus: Alles, was wir an sinnlichen Erfahrungen haben, taugt letztlich nicht, weil es vergeht. Innerhalb dieses Erlebens lässt sich ein wirklich befriedigender Zustand nicht erreichen. Wir kommen hier nie ans Ziel. Das letzte und höchste Ziel ist für den Buddhismus deshalb nicht in diesem Weltgeschehen zu erreichen, sondern in der Transzendierung dieses Geschehens.
Ziel des Buddhismus ist die Befreiung vom Leid, ein gleichmütiges, leidfreies Erleben. Wenn es mir nun aber tatsächlich gelingt, das Leid aus meinem Bewusstsein zu zaubern - verliere ich dann nicht automatisch auch das Glück?
Was der Buddha lehrt, ist die Sublimierung unserer Emotionen: Güte, Mitempfinden, Mitfreude und Gelassenheit sollen an die Stelle der banalen Alltagsfreuden treten. Richtig ist, dass ich in meiner Lebenswelt nur dann wissen kann, was Glück ist, wenn ich auch Leid erfahren habe. Dennoch versuchen wir natürlich in jeder Sekunde des Tages, leidvolle Zustände zu vermeiden und glückvolle zu erreichen. Diese Suche nach Glück ist immer unbefriedigend, weil sich das Glück nie festhalten lässt und man glückliche Zustände immer wieder neu rekonstruieren muss. Der Buddhismus lehrt deshalb das Ausbrechen aus dieser Tretmühle.
Ist diese „Tretmühle" nicht das, was uns ausmacht? Ist das Hoch und Nieder der Gefühle nicht gerade das Schöne am Leben?
Wenn Sie sagen „Das ist das Schöne", würde der Buddha antworten: „Das ist in Ordnung. Komm wieder, wenn du irgendwann auf die Idee kommst, es ist doch nicht so schön."
Die Lebensgeschichte des historischen Buddha lässt sich, wenn man böswillig ist, als Exempel des Eskapismus lesen. Ein Prinz, Siddhartha Gautama, kommt zum ersten Mal in seinem Leben aus der behüteten Welt seines Palastes hinaus und sieht die Armut und das Leid der Menschen. Aber anstatt handelnd zu versuchen, die Armut zu lindern, verlässt er Frau und Kind, stiehlt sich aus der Verantwortung und entwickelt eine Methode, das Leid sozusagen psychisch auszublenden. Ist das nicht verantwortungslose Weltflucht?
Buddhas Motiv war nicht egoistisch. Er suchte nicht „seine Freiheit" oder Ähnliches, sondern einen Weg, Leiden als solches und seine Ursachen zu überwinden. Er hat mit seiner Religion in Asien tatsächlich mehr verändert als sämtliche Herrscher, die versuchten, auf der politischen und sozialen Ebene etwas zu verbessern. Seitdem es Menschen gibt, gibt es immer wieder das Bemühen, die Welt gesellschaftlich und materiell in Ordnung zu bringen. Aber schauen Sie sich die Welt heute an: In Wahrheit leben wir eher am Rande des Chaos als in paradiesischen Zuständen.
Der Buddha hat nach seinem so genannten Erwachen 45 Jahre nichts anderes gemacht, als sich um die Anliegen der Menschen zu kümmern, indem er gelehrt hat. Wir im Westen hingegen, die wir die Mit-Welt für so real halten, tun praktisch genau das Gegenteil. Wenn wir ehrlich sind, tun wir zu 95 Prozent nichts anderes, als die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Erbarmen und Mitgefühl sind bei uns also nicht mehr als ein intellektueller moralischer Anspruch. Die eigentliche, gelebte Religion ist der Egotrip.
Aber stellt nicht der Buddhismus die wenigen echten Bedingungen, die wir haben, infrage? Zum Beispiel heißt es, man solle den Dingen und Menschen gleichmütig gegenübertreten, statt an ihnen zu haften. Wie soll ich nun aber zum Beispiel meine zweijährige Tochter lieben und versorgen, ohne emotional an ihr zu hängen und zu haften? Diese Bindung macht Menschen doch aus?
„Haften" ist im Buddhismus alles, was meinem Ego Befriedigung schafft. Es gibt in der Tat Eltern, die in diesem Sinne an ihren Kindern haften. Eine echte Beziehung zwischen Eltern und Kind ist hingegen das Gegenteil: Aufgeben von Haften, Aufgeben von eigenen Interessen und Bedürfnissen. Erst dann wird der Blick auf den anderen frei.
Als „Wegweiser aus dem Leid" ist der Buddhismus auch eine psychologische Methode. Kann man sie in der Psychotherapie nutzen?
Der Buddhismus ist eine Psychotherapie - aber für Gesunde. Er setzt bei einer „normalen" psychischen Verfassung an; dort beginnt die „Therapie". Abgesehen davon ist zum Beispiel die Selbstbeobachtung, wie sie im Buddhismus praktiziert wird, sicherlich auch in konventionellen Psychotherapien ein wertvolles Hilfsmittel. Es gibt in den USA, Deutschland, der Schweiz und in England einige Psychotherapeuten, die auf buddhistischem Hintergrund arbeiten. Sie bezeichnen sich aber nicht als „buddhistische Therapeuten, weil bei den Klienten nicht der Eindruck aufkommen soll, die sollten zu etwas „bekehrt" werden.
Fragen von Thomas Saum-Aldehoff
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