Dr. Alfred Weil, geb. 1951 in Mörfelden, Studium der Sozialwissenschaften (Pädagogik, Soziologie und Psychologie), Aufenthalte in Asien seit 1973, Promotion zum Dr. phil. 1979, systematische Auseinandersetzung mit dem Buddhismus seit 1979.
Lehrer: Paul Debes und Ayya Khema, Meditationserfahrung seit 1984 (Godwin Samararatne, Goenka (Schüler); Ayya Khema, Rewata Dhamma, U Pandita, U Sonaka); Zeitschriftenveröffentlichungen, Vertragstätigkeit/Seminare seit 1984, Lehrauftrag für philosophische Anthropologie an der FH Fulda 1987 bis 1991, Sprecher der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) seit 1993, Mitglied der Redaktion Lotusblätter, Zeitschrift der DBU, seit 1990, zur Zeit tätig als politischer Referent. Buchveröffentlichungen: „Wege zur Todlosigkeit. Tod und Transzendenz in der Lehre des Buddha", Konstanz 1993; „Im Spiegel des Todes. Beiträge zu Tod und Sterben aus buddhistischer Sicht", (Hrsg.), München 1995; „Karma", (Hrsg.), Berlin 1979.
Dies ist der zweite Teil eines Interviews, das die FORUM-Redakteure Andreas Terhoeven und Thomas Öelschläger mit dem Sprecher der Deutschen Buddhistischen Union, Herrn Alfred Weil, führten. Teil l ist in unserer September-Ausgabe erschienen.
FORUM: Gibt es ein Sprachen- und Verständigungsproblem zwischen den verschiedenen buddhistischen Schulen, weil man ja unterschiedliche Ausdrücke benutzt? Hat man dies schon erkannt, oder ist dieses Problem sogar schon gelöst?
WEIL: Erkannt haben wir das Problem, und wir sind es auch schon ein Stück angegangen. Vor etwa zwei Jahren hat die DBU eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Zu ihr gehören Menschen, die sich intensiv mit der Übersetzung buddhistischer Texte beschäftigen; das heißt aus den Originalsprachen ins Deutsche oder, was häufiger vorkommt, aus dem Englischen ins Deutsche. Diese Fachleute listen zunächst einmal auf, welche zentralen Begriffe es gibt und wie sie gewöhnlich übersetzt werden. Ein Problem ist dabei offensichtlich: daß für viele Begriffe aus den Ursprungssprachen unterschiedliche deutsche Ausdrücke verwendet werden. Das erinnert ein wenig an „Babylon".
Andererseits stellen wir fest, daß für viele Originalbegriffe überhaupt keine zufriedenstellende deutsche Entsprechung existiert. Ich kenne mich ein bißchen in Pali aus, und ich stelle fest, daß diese alte mittelindische Sprache sehr nuanciert sein kann. Sie kann den menschlichen Geist, seine Struktur, seine Funktionsweise und so weiter ganz präzise beschreiben. Wir haben da im Deutschen oft keine gleichwertige Entsprechung, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, daß unser Denken und unsere Sprache sehr stark vom Christentum und seinem Weltbild geprägt sind. Oft müssen wir Worte des buddhistischen Kanons mit „christlichen" Begriffen wiedergeben. Beim Lesen oder beim Sprechen haben wir dann die entsprechenden (und irreführenden) Assoziationen oder wecken sie bei anderen. So wird die Unterschiedlichkeit zwischen der christlichen und buddhistischen Tradition oft nicht deutlich.
Unser Ansatz zielt in zwei Richtungen: zum einen aufzuarbeiten, wo die Probleme liegen, und zum anderen klarzumachen, daß diese Probleme nicht auf sprachlicher Ebene allein zu lösen sind, sondern nur durch die eigene spirituelle Praxis. Durch die Praxis wird klar, was die Worte meinen. Es ist nämlich ein Unterschied, ob man ein buddhistisches Thema buddhologisch angeht, also auf der Ebene der abstrakten Wissenschaft untersucht, oder ob man sich zu dieser spirituellen Tradition bekennt. Das ist der einzige Weg, wirklich zu wissen, was bedeuten denn bestimmte Ausdrücke und Bilder.
FORUM: Haben Sie denn zum Beispiel bei folgendem Begriff entschieden: Ist es der Dharma oder das Dharma?
WEIL: Das ist eine Diskussion, die ich persönlich nicht mehr führe, weil sie endlos ist. Ich habe mich entschieden, wenn ich ein Fremdwort übersetze, verwende ich den Artikel der Ursprungssprache. Das scheint mir am sinnvollsten und logischsten zu sein. Allerdings stößt das bei unseren „Feministinnen" nicht so sehr auf Gegenliebe, weil einige zentrale Begriffe maskulin sind: Buddha, Dharma, Sangha zum Beispiel.
FORUM: Wir wollten zwei Fragen zum Lotos-Sutra stellen, weil das ja in Nichirens Lehren eine zentrale Bedeutung hat. Im Lotos-Sutra spricht Shakyamuni vom „geeigneten Mittel", in den „Lotusblättern" nennen Sie es „geschickte Mittel", die der Buddha anwendet, seine Schüler je nach ihren Fähigkeiten zur Buddhaschaft zu führen. Gibt es in der heutigen Zeit für Europäer und Deutsche ein geeignetes Mittel, dieses Ziel zu erreichen?
WEIL: Ich denke, es gibt viele. Das eine ist, daß wir eine (natur-) wissenschaftliche Orientierung haben; daß wir in „Gesetzmäßigkeiten" denken. So ist es ein gutes Mittel, den Menschen klarzumachen, daß auf dem spirituellen Weg ebenfalls Gesetzmäßigkeiten, also Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, existieren. Das zweite hängt eng damit zusammen, daß wir im Westen eine relativ gute Ausbildung haben. Ein gutes Mittel ist deshalb zu erklären, warum man eine bestimmte Sache macht; nicht nur zu sagen „Nun mach' mal", sondern zu begründen, zu erläutern, warum, weshalb, wieso. Das hat auch etwas mit Demokratisierung zu tun.
Das wäre vielleicht ein drittes Element: daß wir eine mehr oder weniger demokratische Tradition haben, die eine andere Beteiligung möglich macht, die der Ordinierten und der Laien. Es braucht nicht länger diese ganz strikte Trennung zu geben. Es kann eine größere Einbindung derer geben, die in der Familie leben, die einer Arbeit nachgehen und trotzdem auf sehr qualifizierte Weise einer spirituellen Praxis nachgehen. Das sind drei sehr allgemeine Ansatzpunkte. Ansonsten möchte ich noch ein viertes „geschicktes Mittel" nennen: Es ergibt sich daraus, daß uns in Europa psychologische Vorstellungen vertraut sind. Spiritualität und Religiosität lassen sich gut in psychologische Kategorien fassen. Zumindest in großen Teilbereichen.
FORUM: Ein besonderer Aspekt ist auch die Ziel-Mittel-Kombination. Also ein „geeignetes Mittel", um die Buddhaschaft zu verwirklichen. Gibt es da unterschiedliche Mittel, um die Buddhaschaft zu verwirklichen, oder gibt es ein Mittel für die Menschen im Westen zur heutigen Zeit?
WEIL: Wenn man sich die Menschen anschaut, finden wir eine große Differenzierung. Eine Chance der Buddhalehre ist ihre Fähigkeit, daß sie ganz unterschiedliche Menschentypen ansprechen kann. Der eine ist mehr intellektuell orientiert. Ihm kann der Buddhismus auf intellektueller Ebene verdeutlichen, worum es geht. Dann gibt es andere, die eher gemütsmäßig oder gefühlsmäßig orientiert sind. Für sie hat die Lehre des Buddha viele Möglichkeiten entwickelt, auf der Ebene des Umgangs mit Emotionen etwas zu erreichen. Ein Dritter ist vielleicht mehr introvertiert, das heißt, er ist mehr meditativ oder kontemplativ veranlagt. Auch ihm oder natürlich ihr hat der Buddhismus etwas anzubieten. Das macht eine seiner Stärken im Vergleich zu den großen Kirchen aus, die wir hier in Europa und Deutschland haben. Ihr Angebot ist heutzutage eher eingeschränkt. Ein viertes Beispiel, das gerade in jüngster Zeit immer mehr zum Tragen kommt, möchte ich mit dem Stichwort „engagierter Buddhismus" beschreiben, wenngleich wir hier in Deutschland und in vielen Teilen Asiens Nachholbedarf haben. Ich meine, daß der Buddhismus auch ermutigt, sich im sozialen Bereich zu engagieren und nicht nur zu Hause im Kämmerlein seine Religion zu praktizieren. Es ist möglich, auf einem spirituellen Hintergrund politisches oder soziales Engagement zu zeigen. Was ich sagen will: Die Lehre des Buddha bietet für jeden einen passenden Zugang und geeignete individuelle Ausdrucksformen von Religiosität. Ich habe nicht einmal alle genannt.
FORUM: In einer der letzten „Lotusblätter" war das 16. Kapitel des Lotos-Sutras abgedruckt, allerdings praktisch nicht kommentiert. Wie würden Sie die Stellung des Lotos-Sutras im buddhistischen Kanon einordnen?
WEIL: Das hängt sicher davon ab, wer aus welcher Tradition kommt. Um es etwas überspitzt zu formulieren: Wenn Sie einen Theravada-Buddhisten danach fragen, wird er vielleicht antworten: „Ja, ja, das gibt es. Es soll eine bedeutende Rolle spielen. "Wenn Sie einen tibetischen Buddhisten fragen, der wird Ihnen sagen: „Das ist ein ganz zentrales Mahayana-Sutra." Für ihn hat es schon einen anderen Stellenwert, mag aber dennoch für seine Praxis nicht ausschlaggebend sein. Unsere Feststellung ist, daß die kanonischen Texte, auf die man zurückgreift, für viele nur ganz wenige sind. Es ist eher die jeweils eigene Tradition, aus der man schöpft. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß deren heilige Schriften selbst so umfänglich sind, daß man sie allein meist nicht einmal gründlich genug studieren kann und es mehr als eines Kopfes und eines Lebens bedarf, um dann noch die anderen Schriften hinreichend zu bedenken und einzubeziehen.
FORUM: Wie sind Sie selbst eigentlich zum Buddhismus gekommen?
WEIL: Ich war immer jemand, der an philosophischen und an existentiellen Fragen interessiert war. Das habe ich sozusagen „mitgebracht". Natürlich habe ich erst einmal geschaut, was gibt es an Antworten in unserer Kultur. Eine Zeit lang habe ich sogar evangelische Theologie studiert, doch ich konnte mir nicht so recht vorstellen, Pfarrer zu werden. Dann habe ich gewechselt und Sozialwissenschaften studiert: Erziehungswissenschaft, Psychologie und Politik. Das erschien mir auf der Ebene der Wissenschaft etwas Passenderes zu sein.
Letztlich war es das aber auch nicht, weil es - vom Spirituellen aus betrachtet - doch nicht besonders in die Tiefe geht. Es blieben zu viele offene Fragen. Ich habe schon immer eine große Faszination bei Buddhabildnissen und Buddhastatuen empfunden. Wohl, weil von ihnen eine bemerkenswerte Souveränität, Ruhe und Überlegenheit ausgehen. Ich hatte das Gefühl, so müßte man auch sein. Als mir endlich klar wurde, Buddhismus ist nicht nur eine abstrakte Philosophie, sondern auch ein Weg der Praxis. So bedurfte es keiner weiteren Überlegung mehr.
Für die weitere Entwicklung kann ich drei Elemente nennen. Zum einen habe ich seit den 70er Jahren verschiedene Reisen nach Indien, Nepal und in die anderen Länder Südostasiens unternommen, wie man das damals so machte, und darüber habe ich Kontakt mit dem Buddhismus bekommen. Daneben gab es die literarische Ebene. Ich habe festgestellt: Es gibt buddhistische Bücher; da kann man alles nachlesen und vertiefen. Und das Dritte, das war dann wirklich eine kleine Sensation für mich. Ich habe entdeckt, daß es in Deutschland praktizierende Buddhisten gibt. Als ich damals begonnen habe zu lesen, hätte ich geschworen, daß ich der einzige bin, der auf eine so verrückte Idee kommt, in Deutschland Buddhist zu sein. Heute kann ich darüber nur schmunzeln. Zuerst habe ich bemerkt, daß es in Österreich buddhistische Organisationen gibt. Nach und nach habe ich schließlich Kontakt mit Organisationen und den vielfältigen Aktivitäten in Deutschland bekommen.
FORUM: Warum sind Sie gerade zur Theravada-Schule gekommen? War das eine bewußte Entscheidung, oder war das mehr zufällig?
WEIL: Das hat etwas mit „Wellenlänge" zu tun. Theravada ist meine Wellenlänge. Zum einen, weil er einen deutlichen intellektuellen Akzent hat. Er gibt rational nachvollziehbare Erklärungen. Weiterhin ist er zurückhaltender, was Rituale und „Äußerlichkeiten" angeht. Mir war und ist das Schlichte, Ruhige, Stille und Zurückhaltende wichtig. Deshalb habe ich diesen Weg eingeschlagen, und ich habe so zunächst Gleichgesinnte entdeckt, die mir weitergeholfen haben und von denen ich gelernt habe. Ganz gezielt habe ich 1979 angefangen, die Lehrreden des Buddha zu lesen. Zunächst ganz allein und für mich. Erst ab etwa 1982 habe ich die Fühler nach anderen Praktizierenden ausgestreckt, und schließlich bin ich auf die DBU gestoßen.
FORUM: Ist Ihre Ausübung eine regelmäßige tägliche Ausübung? Gibt es Versammlungen mit anderen?
WEIL: In meiner Tradition gibt es drei Übungsschwerpunkte: sila, samadhi, panna. Sila ist Ethik. Hier geht es darum, sein Leben nach moralischen Grundsätzen zu gestalten. Da gibt es verschiedene Selbstverpflichtungen, die gar nicht so unterschiedlich im Vergleich zu den christlichen Geboten sind. Samadhi wird bei uns meistens mit Meditation übersetzt. Sie ist eine geistige Schulung im engeren Sinn, eine Übung, die formell auf dem Meditationskissen stattfindet. Achtsamkeit und Klarheit, Konzentration und Sammlung sind Stichworte dazu. Das heißt bei mir konkret, daß ich zum Beispiel jeden Tag nach dem Aufstehen eine Stunde meditiere. Panna kann man mit Einsicht oder Wissen übersetzen. Das ist zunächst die intellektuelle Auseinandersetzung damit, was der Buddha gelehrt hat, und später ist sie das intuitive und unmittelbare Verständnis der Realität selbst.
Diese drei Elemente sind eigentlich von jedem zu praktizieren, der der Theravada-Tradition folgt. Das ist aber oft nicht der Fall. Der eine sitzt nur vor seinen Büchern und kümmert sich nicht um die praktischen Konsequenzen dieser Lehre für den Alltag. Der andere sitzt nur auf dem Kissen und sagt, es wird schon alles stimmen, was die anderen erzählen. Ich meditiere nur, eine weitergehende gedankliche Auseinandersetzung mit der Lehre ist nicht nötig. Dritte sagen, das ist doch alles nur theoretisch und ego-orientiert. Es kommt darauf an, sich in dieser und für diese Welt zu engagieren und Hilfe zu geben, wo sie gebraucht wird. Ich denke, es ist eine notwendige Aufgabe, das Ganze zu sehen und eine vollständige Praxis zu haben. Natürlich ist es nicht verkehrt, wenn man dabei einen Schwerpunkt hat. Mein Schwerpunkt liegt beispielsweise auf der Ebene des Verstehens. Das ist aber mein individueller Zuschnitt, der bei anderen ganz anders aussehen kann.
Noch ein Wort zur Frage des Kontakts zu anderen Praktizierenden. Es kommt immer darauf an, wo man wohnt. Ich persönlich habe nicht, wie das in anderen Städten ist, einen Anlaufpunkt, wo ich mehrmals in der Woche hingehen könnte, wenigstens keine Theravada-Gruppe. Das heißt, meine Praxis findet mehr individuell statt. Ich treffe mich aber regelmäßig mit anderen auf Veranstaltungen, Seminaren oder Retreats.
FORUM: Was für eine Rolle spielt für den Theravada-Buddhismus eine Organisation?
WEIL: Also in dieser Tradition wurde Organisation ursprünglich relativ klein geschrieben. Sie sollte nie Selbstzweck sein. Aber es haben sich in den asiatischen Ländern natürlich auch Institutionen und Hierarchien gebildet. Vielleicht nicht ganz so wie in den westlichen Kirchen, die sehr durchorganisiert sind. Im Westen ist man eher etwas „vereinsmeierisch". Hier braucht man gleich eine Satzung, da muß man irgendwo Mitglied sein, muß einen Beitrag zahlen usw.
FORUM: Wenn wir von Organisation sprechen, ist eher weniger diese Vereinsmeierei gemeint. Eher ein stark eingebundenes organisiertes Praktizieren. In dem Sinne, daß wir regelmäßige Treffen haben, in denen wir gemeinsam die buddhistische Philosophie studieren und an denen auch nicht Nichtbuddhisten teilnehmen können. Hierbei stehen der Dialog und/oder die gemeinsame Ausübung im Mittelpunkt. Das ist ein regelmäßiges und klar organisiertes Angebot. Man muß dies natürlich nicht wahrnehmen. Trotzdem wird es manchmal auch als Verpflichtung empfunden. Man muß auch hier lernen, sich frei zu entscheiden. Gibt es in Ihrer buddhistischen Schule auch Veranstaltungen für Gäste, in denen die Philosophie erklärt wird und es möglich ist, gemeinsam zu meditieren.
WEIL: Da muß man unterscheiden zwischen der konkreten Situation, in der ich persönlich lebe, oder der von Freunden, die zum Beispiel in München wohnen. Dort leben mehr Anhänger der Theravada-Schule. Da gibt es auch einen Verein, der eigene Räume gemietet hat. Hier hat man mehrmals in der Woche die Möglichkeit, verschiedene Dinge zu tun: einen Vortrag anzuhören, an einem Gesprächskreis teilzunehmen, um bestimmte Dinge zu klären, oder gemeinsam zu meditieren. Häufig sind bei uns auch organisierte Meditations-Retreats, entweder für ein Wochenende, für mehrere Tage oder gar für einen Monat und noch länger. Und in anderen buddhistischen Gruppierungen, zum Beispiel im Zen oder der tibetischen Tradition, in der es insgesamt die meisten Praktizierenden gibt, da gibt es sogar langfristige systematische Schulungen. Außerdem führen diese Gemeinschaften öffentliche Veranstaltungen durch.
FORUM: Eine Frage noch zur Ausübung für andere. In unserer Tradition gibt es den Ansatz, für das eigene Glück, die eigene Entwicklung zu praktizieren. Auf der anderen Seite praktiziert man auch für das Glück der anderen. Bei uns mündet das dann zuletzt in den Begriff des Bodhisattwas. Gibt es so etwas auch in Ihrer Philosophie?
WEIL: Das ist ein alter „Streit" unter den Buddhisten. Es entstand ja Anfang unserer Zeitrechnung die neue Bewegung des Mahayana, des sogenannten Großen Fahrzeugs. Gleichsam als Gegenbewegung zu den Theravadins, die ja so „egoistisch" sind und nur „für sich" praktizieren. Ich halte diesen Streit für den Streit um des Kaisers Bart. Wenn man sich die Lehren des Buddha anschaut, wird die Fragestellung „für mich oder für andere" obsolet. Schon die Ethik sagt: „Ich kann mein Glück nur erreichen, wenn ich auch das Glück der anderen mit im Auge habe." Das geht schon vom Denkansatz her gar nicht, egoistisch glücklich sein zu wollen. Aber im Laufe der historischen Entwicklung hat sich so etwas herausgeschält. Der Buddhismus hat teilweise sehr große Verengungen erlebt, er ist teilweise scholastisch geworden, die Menschen sind nicht wirklich spirituell geblieben. Das Mönchsein ist mitunter zu einem Beruf geworden, der ein leichtes und sicheres Auskommen ermöglichte. Aber das hat nichts mit der Lehre des Buddha zu tun. Das hat etwas damit zu tun, was die Menschen daraus gemacht haben. Solche Fehlentwicklungen hat es freilich nicht nur im Theravada gegeben.
FORUM: Kommt aus dieser Tradition auch der Begriff Hinayana?
WEIL: Ja, von der „Gegenbewegung" des Mahayana, die sagt, das ist ja nur ein Kleines Fahrzeug, das einzelne Individuen sieht, die nur für sich, ihr eigenes Heil, ihr eigenes Glück praktizieren. Hinayana ist praktisch ein Kampfbegriff. Aber letztlich ein unsinniger. Wenn man von bedingter Entstehung, von wechselseitiger Abhängigkeit spricht, kann man auf der anderen Seite nicht sagen, da gibt es das isolierte Individuum, das allein sein eigenes Glück im Auge hat. Schauen wir doch, was der Buddha Shakyamuni, den alle Theravadins natürlich hoch verehren, nach seiner Erleuchtung gemacht hat. Er hat 45 Jahre nichts anderes gemacht, als anderen Menschen zu vermitteln, wie sie ebenfalls die Befreiung erlangen können. Wäre da ein egoistisches Motiv vorhanden gewesen, hätte er nie so gehandelt. Überspitzt könnte man sogar sagen, daß das Pendel gelegentlich so weit in die andere Richtung ausgeschlagen ist, daß man oft nur noch den Gedanken hat, alle Wesen erretten zu wollen, und gar nicht daran denkt, daß man dem anderen nur so weit helfen kann, wie man selbst schon aus dem Sumpf heraus ist.
FORUM: Wie stellen Sie sich die weitere Entwicklung des innerbuddhistischen Dialogs vor? Zum Beispiel im Hinblick auf die weitere Integration anderer buddhistischer Schulen, die nicht Mitglied in der DBU sind.
WEIL: Tatsache ist, daß die DBU seit vielen Jahren wächst. Das ist gut. Aber dieser Wachstumsprozeß muß erst einmal verkraftet werden. Das klingt vielleicht seltsam, aber das ist so. Dadurch, daß immer mehr Gruppen dazukommen, werden wir vor immer größere Aufgaben gestellt. Wir müssen im Moment schauen, wie wir ein organisatorisches Gerüst hinbekommen, das uns als Organisation langfristig arbeitsfähig macht.
Unser inhaltlicher Schwerpunkt ist die innerbuddhistische Ökumene selbst. Wir arbeiten an Materialien, um buddhistische Positionen darzustellen. Wir haben im Westen zwei Dinge zu tun: Wir müssen uns als Buddhisten etwas aneignen, was uns vor dem Hintergrund unserer eigenen Kultur fremd ist, und wir müssen das angesichts verschiedener Auslegungen und Überlieferungen tun. Da braucht es „Dialogpositionen".
Außerdem kommt gerade in den letzten Jahren immer mehr hinzu, daß uns Interessierte von außen fragen: „Was glauben, denken und machen denn die Buddhisten?" Nachfragen aus Universitäten, Bildungseinrichtungen, auch aus den Kirchen und von seilen der Medien sind Beispiele. Diese Institutionen laden uns immer wieder zum Dialog ein, weil sie etwas über den Buddhismus wissen wollen. Wenn man sich fragt, wen es in den eigenen Reihen gibt, der darauf kompetent antworten kann, sieht man, daß die Kapazitäten da sehr schnell zu Ende sind. Deshalb bin ich etwas zurückhaltend, was überzogene Zukunftspläne angeht. Oft können hier die einzelnen Mitgliedsgemeinschaften in der DBU besser reagieren als der Dachverband selbst. Vor allem, wenn sie inhaltlich an besonderen Schwerpunkten arbeiten; mit praktischen Ansätzen, wie man als Buddhist im 20. Jahrhundert bestimmte menschliche Probleme angehen kann. Wie können Menschen etwa mit Tod und Sterben umgehen, was können Buddhisten praktisch tun, wie können sie konkret helfen. Einige Gemeinschaften etwa arbeiten eng mit der (christlichen) Hospizbewegung zusammen. Ein weiteres Beispiel ist der Bereich der Psychotherapie. Auf diesem Sektor gibt es zunehmend Kontakte zwischen buddhistischen und westlichen Psychologen. Auch da habe ich das Gefühl, daß die buddhistische Tradition sehr viel einbringen kann.
FORUM: Sehen Sie schon Schwerpunkte, was einen interreligiösen Dialog angeht?
WEIL: Für meine Person kann ich sagen, daß Anfragen der christlichen Kirchen bezüglich eines solchen Dialogs zunehmen. Wir Buddhisten sind hier in einer relativ günstigen Position, denn wir müssen keine besonders großen Hemmschwellen überwinden oder Vorbehalte ausräumen, wie gelegentlich der Islam. Buddhisten werden im allgemeinen als seriös anerkannt. Aber auf der anderen Seite ist der Dialog auch schwieriger, weil einfach unser spiritueller Ansatz doch weit entfernt ist von dem Glauben der christlichen Kirchen, die naturgemäß sehr an der Gottesvorstellung orientiert sind. Das heißt praktisch, daß der interreligiöse Dialog doch schwerpunktmäßig zwischen dem Islam und den Christen beziehungsweise zwischen dem Judentum und dem Christentum stattfindet. Hier empfindet man doch leichter eine Verwandtschaft. Man hat eine gemeinsame Basis, von der aus man über Differenzen sprechen kann. Wenn demgegenüber ein Dialog mit Buddhisten stattfindet, dann ist das noch etwas sehr exotisches. Das bleibt lange beim Abc, bevor man zu den Kernpunkten kommt.
Die Herbstausgabe der „Lotusblätter" beschäftigt sich übrigens mit dem interreligiösen Dialog. Dort wird über verschiedene Beispiele berichtet. Unter anderem, was ich sehr interessant finde, über eine Begegnung des Dalai Lama mit jüdischen Rabbinern. Insgesamt ist das aber ein Kapitel, bei dem wir noch am Anfang stehen. Noch sind auf buddhistischer Seite die Kapazitäten nicht hinreichend vorhanden, all das anzugehen, und noch ist das generelle Vorverständnis auf beiden Seiten gering. Ich erwähne hier noch einmal das Beispiel der interreligiösen Hospizarbeit. Ein solcher Ansatz ist meines Erachtens viel fruchtbarer als eine bloße „theologische" Debatte, weil er konkreter und eher faßbar ist. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Religionen werden am Beispiel viel offensichtlicher.
Fragen von Andreas Terhoeven und Thomas OelschlägerErschienen in Forum. Buddhistische Zeitschrift für Frieden, Kultur und Erziehung - Oktober 1997 (Teil 2)
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