Dr. Alfred Weil, geb. 1951 in Mörfelden, Studium der Sozialwissenschaften (Pädagogik, Soziologie und Psychologie), Aufenthalte in Asien seit 1973, Promotion zum Dr. phil. 1979, systematische Auseinandersetzung mit dem Buddhismus seit 1979.
Lehrer: Paul Debes und Ayya Khema, Meditationserfahrung seit 1984 (Godwin Samararatne, Goenka (Schüler); Ayya Khema, Rewata Dhamma, U Pandita, U Sonaka); Zeitschriftenveröffentlichungen, Vertragstätigkeit/Seminare seit 1984, Lehrauftrag für philosophische Anthropologie an der FH Fulda 1987 bis 1991, Sprecher der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) seit 1993, Mitglied der Redaktion Lotusblätter, Zeitschrift der DBU, seit 1990, zur Zeit tätig als politischer Referent. Buchveröffentlichungen: „Wege zur Todlosigkeit. Tod und Transzendenz in der Lehre des Buddha", Konstanz 1993; „Im Spiegel des Todes. Beiträge zu Tod und Sterben aus buddhistischer Sicht", (Hrsg.), München 1995; „Karma", (Hrsg.), Berlin 1979.
FORUM: Wie ist die DBU entstanden?
WEIL: Sie ist 1955 in Frankfurt gegründet worden. Die drei Gründungsmitglieder kamen aus Utting am Ammersee, aus München und Hamburg. Das waren buddhistische Gemeinschaften, die heute noch existieren. Man hatte sich damals gesagt, man bräuchte doch so etwas wie einen Anlaufpunkt für alle, eine Kooperationsmöglichkeit der buddhistischen Gemeinschaften in Deutschland. Schon damals gab es unterschiedliche Ausrichtungen, aber noch nicht die ganze Bandbreite von heute.
Die erste buddhistische Organisation, die es in Deutschland überhaupt gab, wurde 1903 in Leipzig gegründet. Sie hat aber nicht lange bestanden.
Aus den drei Mitgliedsorganisationen von 1955 sind mittlerweile 42 geworden, wobei bei diesen 42 heute praktisch alle größeren Richtungen vertreten sind, die es weltweit gibt. Wir haben Gruppen aus dem tibetischen Buddhismus, japanische Gruppen, meist Zen-orientierte, Jodo-Shinshu, und wir haben auch Gruppierungen aus dem Theravada-Bereich, dem so genannten südlichen Buddhismus, sodass die DBU in etwa die Größenverhältnisse der in der Bundesrepublik vertretenen Schulen widerspiegelt. Relativ neu ist seit zehn Jahren, dass in der DBU, die ein Dachverband ist, auch Einzelmitglieder aufgenommen werden. Das heißt, ich könnte als Mitglied einer Gemeinschaft auch Einzelmitglied in dieser Vereinigung werden. Durch diese Einzelmitgliedschaft bringt man zum Ausdruck, dass man sich nicht nur einer Schule zugehörig fühlt, sondern sich darüber hinaus in Deutschland als ein Buddhist fühlt, der auf allgemeinerer, übergeordneter Ebene für die Entwicklung des Buddhismus in Deutschland etwas tun möchte. Das ist ein wichtiger Schritt. Er zeigt, dass man beides im Auge hat. Man verfolgt eine bestimmte Richtung, Tradition, Art der Praxis, und sieht trotzdem, irgendwann wird es in Europa etwas eigenes geben.
FORUM: Also gibt es quasi eine Doppelmitgliedschaft?
WEIL: Ja. Es gibt viele, die sind Mitglied einer buddhistischen Gemeinschaft und Einzelmitglied in der DBU, es gibt aber auch viele Einzelmitglieder, die wirklich Einzelmitglieder sind, die mit dem Organisatorischen sonst wenig zu tun haben möchten
FORUM: Gibt es aus Ihrer Sicht bei den Einzelmitgliedern, die in keiner anderen Organisation sind, ein Defizit, da sie vielleicht nicht verankert sind?
WEIL: Das ist unterschiedlich. Wenn man „draußen auf dem Land" wohnt, gibt es oft keine Kontakte zu anderen Buddhisten. Das gängige Modell in Deutschland ist eigentlich das der Großstadt. In der Großstadt gibt es in der Regel unterschiedliche Gruppierungen, zu denen man hingehen kann, die eigene Räume haben, die Praxis anbieten, und Menschen, die sich als buddhistische Individuen fühlen und eher für sich praktizieren.
FORUM: Könnte es ein Ausdruck von einer gewissen Orientierungslosigkeit sein, wenn jemand sagt „ich bin Einzelmitglied", besonders wenn man das buddhistische Verhältnis einer „Meister-Schüler-Beziehung" sieht, die man zur buddhistischen Entwicklung braucht. Ist diese Beziehung da gar nicht vorhanden??
WEIL: Vielleicht. Wir in der DBU empfinden als Defizit, daß wir noch nicht so viele Mitglieder haben, um flächendeckende Angebote machen zu können. Das ist eine Idee, die ich im Hinterkopf habe, wenn die in der DBU einzelorganisierten Mitglieder zahlenmäßig zunehmen, so daß man dann regional eigene Strukturen schaffen kann. Wir wollen das aber nicht forcieren, weil wir der Meinung sind, es muß erst Bedarf da sein, und dann kann man organisieren, und nicht umgekehrt.
FORUM: Wie könnte eine Praxis von Einzelmitgliedern unterschiedlicher Richtungen aussehen?
WEIL: Hier kann ich von einigen aktuellen Beispielen erzählen. Am besten funktioniert das zur Zeit in Berlin, Hamburg und auch München, weil es da sehr viele Gemeinschaften gibt. Und die haben sich im Laufe der Zeit über die DBU zusammengefunden und festgestellt, wir könnten ja gemeinsame Veranstaltungen machen. Also wenn die Feiertage sind, das Geburtsfest des Buddha zum Beispiel, kommt es in der größeren Städten regelmäßig zu gemeinschaftlichen Veranstaltungen. Man lädt gemeinsam Vortragende ein, macht gemeinsame Meditation, hat sein Infostände. Das hat den großen Vorteil, daß man Ressourcen, die ja überall knapp sind, zusammenführt. Das ergibt auch einen Lernprozeß. Man kommt sich bei der Vorbereitung und der Gestaltung der Veranstaltung näher. Man lernt von der anderen Tradition etwas kennen. Wenn wir als DBU unsere Konvente organisieren, ist das im Prinzip genauso. Außerdem: Gemeinschaften öffnen ihr Haus, aber nicht als Gemeinschaft, die irgendeine Richtung verfolgt, sonder sozusagen neutral. Es können alle kommen, die wollen und diese Räume benutzen möchten, um Veranstaltungen, Gespräche oder Meditationen durchzuführen. Aber da ist der Erfolg eher mäßig, denn das ist ein Stück menschlicher Mentalität: Da muß man etwas selbst organisieren. Lieber wartet man natürlich auch in unseren Kreisen darauf, daß andere etwas machen. Doch auch dies ist heute ohne Schwierigkeiten möglich, denn mittlerweile ist das Angebot an buddhistischen Themen und Veranstaltungen sehr groß. Ich war letzte Woche in München, da kann man sich aussuchen, was man abends macht, ob man zu Lama X geht, eine Meditation macht oder den Vortrag von Y anhört. Das ist fast schon so wie bei einem Kinoprogramm.
FORUM: In Köln, Düsseldorf habe ich Bekannte, die richtungsmäßig nicht gebunden sind, alleine praktizieren, die eben von Ihnen beschriebenen Möglichkeiten nutzen und über ein diffuses Programm klagen. Die haben schon Probleme, das Richtige für sich herauszusuchen.
WEIL: Ja, das ist die Kehrseite des Modells. Weil das Angebot so groß ist und man gar nicht weiß, was Buddhismus denn überhaupt ist. Wenn man erst zu den Tibetern und dann zu den Japanern geht, denkt man verwundert: „Das soll der gleiche Laden sein?" Die sehen anders aus, reden völlig andere Sachen und haben andere Auffassungen. Da ist die Verwirrung natürlich verständlich.
FORUM: Die Entscheidung, welche buddhistische Richtung einen schließlich am meisten überzeugt, ist dann auch stark personenbezogen.
WEIL: Ja. Viele entscheiden sich danach, welcher Mensch oder Lehrer sie am stärksten beeindruckt hat. Welche Tradition dahintersteht, ist erst mal sekundär.
FORUM: Es gibt, wie Sie geschildert haben, viele buddhistische Schulen in der DBU. Was sind da aus Ihrer Sicht die grundlegenden Gemeinsamkeiten?
WEIL: Mittlerweile haben die deutschen Buddhisten etwas zustandegebracht, was ein Stück Seltenheitswert hat. Wir haben nämlich in der DBU ein gemeinsames Bekenntnis erarbeitet. Das war ein Prozeß, den ich nur am Ende miterlebt habe. Er dauerte viele, viele Jahre. Man hat sich erst einmal zusammengesetzt und Fragen gestellt: Was sind denn überhaupt die Essentials deiner Tradition? Welche Lehrauffassung vertrittst du? Was könnte der gemeinsame Nenner sein?
Dieses Bekenntnis faßt auf etwa einer DIN A 4 Seite zusammen, was die Basis buddhistischer Grundauffassung und Praxis ist. Da sind die vier Wahrheiten genannt (die edle Wahrheit vom Leiden, die edle Wahrheit von der Leidensentstehung, die edle Wahrheit von der Leidensbeendigung, die edle Wahrheit von dem zur Leidenserlöschung führenden Weg), die drei Arten von Zuflucht, also die Zuflucht zu Buddha, dhamma und sangha, dann die fünf silas, also die fünf ethischen Regeln, und die vier Grundemotionen. Dies sind die vier wirklich wertvollen Gemütshaltungen, nämlich Güte, Mitempfinden, Mitfreude und Gleichmut. Und es ist da von der gegenseitigen Achtung aller Buddhisten die Rede. Das waren Dinge, auf die sich alle geeinigt haben. Da haben natürlich viele gesagt, bei uns ist dies und jenes unheimlich wichtig und muß noch rein, und andere haben gesagt, davon haben wir eigentlich noch nie etwas gehört. Doch dieses Bekenntnis ist jetzt ein gemeinsamer Nenner. Das Wesentliche, was aus diesen Gesprächsrunden herausgekommen ist, war, sich zu verständigen, was denn der eigentliche Inhalt anderer buddhistischer Tradition ist. Man hat schnell gesehen, daß unterschieden werden muß zwischen dem Kernbestand der buddhistischen Lehre und dem, was nur kulturelles, historisches Umfeld ist.
FORUM: Wird sangha eigentlich im Sinne von Mönchs-, Nonnengemeinschaft verstanden oder als Gemeinde der Gläubigen?
WEIL: Also das ist auch ein Gegenstand der Diskussion. Insbesondere in einigen tibetischen Richtungen bedeutet sangha zunächst „die Nonnen und Mönche" Doch generell haben wir uns darauf verständigt, daß sangha die Buddhisten allgemein sind. Also die Praktizierenden insgesamt. Mit dem Verhältnis Laien und Ordinierte haben die Asiaten große Probleme, denn in Sri Lanka und Tibet zum Beispiel ist das, was Nonnen und Mönche sagen, „Gesetz" Ein Laie nickt dann und sagt: „So ist es" In Europa ist das anders. Menschen, die tagsüber im Büro sitzen, sagen dann eventuell abends einem Lama: „Nein, das sehen wir ganz anders." Da gab es zum Teil große Konflikte, weil die Asiaten, die hierher gekommen sind, es nicht einsehen, daß da einer aus Europa, eventuell noch im Anzug oder T-Shirt, ihnen, die seit Jahrtausenden eine Robe tragen, sagt, was „buddhistisch" ist und wo es mit unserer Organisation langgehen soll.
FORUM: Wie überwindet man da die Trennung im unterschiedlichen Verständnis von Begriffen wie Karma oder Nirvana, bzw. wie überwindet man die Unterschiede, nicht äußerlich ob in Roben oder nicht, sondern wirklich bei der Art der Ausübung?
WEIL: Ich weiß gar nicht, ob man dies überwinden muß. Es wird sicher Annäherungen geben, das stelle ich auch fest. Wenn man miteinander zu tun hat, stellt man fest, wie es andere machen, ob man das gut und hilfreich findet. Was Ausübung angeht, sagt der eine, ich bin mehr daran orientiert, mein Leben nach ethischen und moralischen Gesichtspunkten zu organisieren. Ich will einfach ein „anständiger Mensch" sein. Dann gibt es andere, die wollen lieber meditieren. Und dann gibt es die dritten, die sagen, man muß erst das Verständnis entwickeln und wissen, was die Welt ist, wo sie herkommt und wo sie hingeht. Ein Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit war die Einsicht, daß alle diese Ansätze notwendig sind und wir als Gemeinschaften oft das Defizit haben, daß wir uns einen Teil herausgreifen und denken, das ist spannend, das interessiert mich, aber vergessen, daß die buddhistische Praxis etwas Umfassendes ist. Ich stelle immer wieder fest, daß in den alten Lehrreden des Buddha die Praxis und die Theorie etwas ganz Umfassendes sind. Er hat nie gesagt, ihr müßt Ethik oder ihr müßt Meditation machen, oder ihr müßt Verständnis erlangen. Er hat gesagt, das gehört alles dazu, weil das eine aus dem anderen hervorgeht und sich wechselseitig bestätigt. Und das, glaube ich, ist eine Aufgabe der DBU: den Buddhismus wieder als Ganzes zu rekonstruieren. Es ist eine wichtige Aufgabe für uns zu sehen, daß Buddhismus etwas Komplexes ist, etwas Ganzheitliches, und daß wir diese Ganzheitlichkeit wieder herstellen müssen. Das kann man im Austausch gut bewerkstelligen, weil dann jeder seine eigenen Erfahrungen und Traditionen einbringen kann. Diese sollen natürlich nicht nivelliert werden. Jeder braucht eine Tradition, wo er auf festem Boden steht. Man kann nicht heute das eine und morgen das andere praktizieren. Da würde man orientierungslos und kommt auch nicht in die Tiefe. Aber man kann über diese Reflexion auch erkennen, was mit der eigenen Tradition gemeint ist, was in ihr steckt, und kommt so ein Stück weg von der „Rosinenpickerei".
FORUM: Haben sich die verschiedenen Schulen in ihrer Philosophie und Ausübung seit ihrer Entstehung in den Ursprungsländern verändert? Praktisch gefragt: Praktiziert ein Zen-Buddhist in Deutschland heute genauso wie ein Zen-Buddhist im Japan des 13. Jahrhunderts? Kommt vielleicht die Annäherung der Schulen jetzt, weil sich die Art der Ausübung im Laufe der Zeit stark verändert hat? Vielleicht liegt das ja daran, daß die Schulen früher in einer sehr viel stärkeren Trennung existiert haben und sich mittlerweile, wie Sie auch beschrieben haben, die Lehre in ihrer Ausübung vielleicht auch verändert hat und von daher eine Möglichkeit der Annäherung heute auch viel stärker da ist.
WEIL: Ich kann das nicht generell sagen, da ich nicht die Entwicklung in allen Ländern gleichermaßen überblicke. Wenn ich in die südostasiatischen Länder schaue, die ich ein bißchen besser kenne, und vergleiche, was die heute machen und vor 2500 Jahren gemacht haben, ist dies ein großer Unterschied. Und zwar im Sinne einer Nivellierung oder Verflachung. Ich habe eben schon angedeutet, daß die Lehre des Buddha selbst komplett war und auch die Übungen und die Praxis umfassend und komplett sind. Diese tiefen spirituellen Wege sind in fast allen asiatischen Ländern im Lauf der Zeit verloren gegangen. Genauso wie auch das Christentum bei uns seit vielen Jahrhunderten auf einem absteigenden Ast ist. Und ich sage, insofern man die eigene Tradition nicht mehr kennt, sich an Äußerlichkeiten festmacht, an Ritualen oder Dogmen, entstehen Differenzierungen und somit Gegenbewegungen, Reformationsbewegungen, auch Mißgunst und Streit unter den Gruppen. Das war in diesem Jahrhundert deutlich. Und jetzt, denke ich, beginnt die Gegenbewegung. Man merkt, man ist nicht mehr da, wo man eigentlich hingehört, und fängt an zu rekonstruieren, was ist denn eigentlich der Kern der Lehre, was ist denn der Kern der buddhistischen Praxis. Da sieht man wieder mehr Gemeinsamkeiten und kann dann auch wieder zu einem gemeinsamen Verständnis und einer gemeinsamen Praxis kommen. Das ist so eine historische Wellenbewegung. Am Anfang war eine Einheit, die sich differenziert hat. Differenzierung ist ja auch erst mal gar nicht schlimm, aber sie ist dann mißverstanden worden. Aus Unterschieden sind Gegensätze geworden. Und heute kehrt sich das wieder um. Man versucht, aus Gegensätzen diese Einheit wieder herzustellen. Das ist deshalb möglich, weil es in Deutschland, in Europa, einfach diese Vielfalt nebeneinander gab und gibt. Wenn zum Beispiel eine Gruppe nur chantet, das wird ja bei Euch sehr intensiv gemacht, und eine andere Gruppe macht das nicht (mehr), sitzt nur still auf dem Boden, könnte man sagen, das hat doch gar nichts miteinander zu tun. Entweder sind die einen Buddhisten oder die anderen. Wenn man aber sieht, daß das nur ein Teilbereich ist, der isoliert ist, während buddhistische Praxis umfänglich ist, und man sieht, daß in der eigenen Tradition früher auch mehr und anderes gemacht worden ist, dann wird man sehen, da ist die Möglichkeit der Annäherung wieder gegeben. Umgekehrt: Wenn man entdeckt, daß das, was man tut, ein „Instrument" ist, um etwas zu erreichen, dann kann man durchaus zum Ergebnis kommen, man kann mit unterschiedlichen „Instrumenten" doch dasselbe wollen. Wenn es also klar ist, man chantet nicht nur, um zu chanten, damit die Zeit vorbeigeht, man sitzt nicht nur auf dem Kissen, damit die Zeit vorbeigeht, sondern daß das Ergebnis ein innerer Wandlungsprozeß, Reinigungsprozeß usw. sein kann, sieht man, daß man auch über unterschiedliche Wege zu einem ähnlichen Ziel kommen kann. Die Aufgabe des Dialogs ist es, das zu erkennen.
FORUM: Kann man sagen, daß heute eine stärkere Betonung der Gemeinsamkeiten stattfindet, gegenüber einer stärkeren Betonung der Unterschiede in früherer Zeit?
WEIL: Ja. Das macht sich in der DBU an drei Punkten fest. Da ist einmal unsere Zeitschrift, die „Lotusblätter". Hier kommen immer zu einem Themenschwerpunkt ganz unterschiedliche Traditionen zu Wort. Für jeden Leser ist die Chance da, dasselbe Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Das zweite sind unsere gemeinsamen Veranstaltungen. Einmal unsere Mitgliederversammlungen, wo die Gemeinschaften mehr auf der organisatorischen Ebene in Kontakt kommen, und zum anderen unsere Konvente, die im Herbst stattfinden. Hier laden wir zu Schwerpunktthemen Lehrer aus unterschiedlichen Traditionen ein, die dann mit ganz verschiedenen Ansätzen kommen. Und das dritte: Seit zwei Jahren geben wir eine Buchreihe heraus, die buddhistische Essentials vorstellt. Ich nenne die zwei bisher erschienenen Bücher: „Tod und Sterben", ein Thema, das viele Menschen interessiert, und in diesem Jahr ein Buch zum Thema „Karma", wo auch ganz verschiedene Zugänge gewählt wurden. Ähnliches haben wir vor zur Thematik „Meditation" Wir wollen dies weiter fortsetzen, bis wir irgendwann einmal eine kleine Handbibliothek darüber haben, was denn der Buddhismus zum Thema „A, B, C. " sagt. Aber nicht in dem Sinne, daß es für alle nur eine durchformulierte Aussage gibt, sondern daß es einfach eine Bandbreite von Zugängen zum selben Thema gibt. Dies ist keine Nivellierung, sondern ein Aufzeigen unterschiedlicher Perspektiven, die dann ein Gesamtbild ermöglichen.
FORUM: Bedeutet es denn, wenn man sich mit anderen Schulen befaßt, daß man die eigene Ausübung aufweicht oder vernachlässigt?
WEIL: Die Praxis zeigt, daß das Gegenteil der Fall ist. Denn wenn ich mit anderen rede, dann muß ich mich erst mal meiner eigenen Position vergewissern. Ich muß klar darüber sein, was ist meine Anschauung zu dem Thema, was ist meine Praxis. Das heißt, bevor ich in so ein Gespräch gehe, muß ein innerer Klärungsprozeß stattfinden. Und dieser Prozeß wird im Dialog sogar noch verstärkt, weil ich dann ja auch Nachfragen bekomme. Da muß ich manchmal feststellen, daß ich manches vielleicht gar nicht verstanden habe, daß ich Widersprüche überkleistert oder nicht wahrgenommen habe, und der andere legt den Finger in die Wunde. Ich bin so gezwungen, mich mit der eigenen Praxis auseinanderzusetzen. Sie wird dadurch klarer, und sie wird dadurch deutlicher. Es ist überhaupt kein Verlust, wenn man einen Dialog führt, sondern es ist am Ende in jedem Fall ein Gewinn, weil beide etwas mitnehmen.
FORUM: Also im Sinne von Inspiration?
WEIL: Ja, man bekommt Anregungen und lernt vor allem andere Ausdrucksformen davon, was man sich bis dahin ewig in denselben Bildern und Sätzen klargemacht hat. Man gewinnt auf jeden Fall mehr Ausdrucksmöglichkeiten.
Fragen von Andreas Terhoeven und Thomas OelschlägerErschienen in Forum. Buddhistische Zeitschrift für Frieden, Kultur und Erziehung - September 1997 (Teil 1) |