Podium »Runder Tisch der Religionen in Deutschland«
Vertrauen schaffen - Vertrauen wagen. Herausforderungen für die Religionen
Mitwirkende
• Bekir Alboga, DITIB-Beauftragter für interreligiösen Dialog, Köln
• Bischof Dr. Martin Hein, Kassel
• Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke, Hamburg
• Burhan Kesici, Generalsekretär des Islamrates Deutschland, Berlin
• Prof. Dr. Reinhold Mokrosch, Theologe, Osnabrück
• Dr. Nicola Towfigh, stellv. Vorsitzende Nationaler Rat der Bahá'í, Münster
• Dr. AlfredWeil, Deutsche Buddhistische Union, Erzhausen
• Moderation: Dr. Franz Brendle, Stuttgart
• Prof. Dr. Johannes Lähnemann, Nürnberg
Donnerstag, 13. Mai, Alte Kongresshalle
Prof. Dr. Reinhold Mokrosch: Alle reden im Augenblick von einer Vertrauenskrise, nicht nur der katholischen Kirche, sondern auch vieler anderer Religionsgemeinschaften. Dieses Papier [das Manifest des Runden Tisches der Religionen; d. R.] redet von »Vertrauen wagen und Vertrauen schaffen«. Ich meine, das ist das beste Heilmittel gegen eine Vertrauenskrise. [...]
Was ist emotionales Vertrauen im interreligiösen Dialog, was ist rationales Vertrauen? Emotionales Vertrauen ist dieses unmittelbare aufeinander Zugehen ohne Vorleistung, ohne Absicherung. Und das rationale Vertrauen ist auch ein Vertrauen, aber eben mit Bedenken der Folgen, mit Absicherung. Das emotionale Vertrauen ist, meine ich, auch eine Art von Wagnis und eine Art von Risiko, weil man eventuell sich selbst preisgeben muss. Ich selbst habe es in interreligiösen Gebeten erlebt, dass Christen sehr positiv die erste Sure interpretieren und in ihrem Sinne fast usurpieren vom allbarmherzigen Allah, und ich habe es auch erlebt, dass Muslime das Vaterunser muslimisch usurpieren und aufnehmen. Das ist doch nicht schlimm! Ich will nur sagen, bei diesem emotionalen, diesem unmittelbaren Vertrauen zueinander kann es sein, dass man vielleicht auch etwas von sich aufgibt, aufgeben muss. Vielleicht ist das gerade richtig? Bernhard Shaw hat einmal gesagt: »Vertrauen bedeutet bereit sein, sich selbst zu opfern.« Vertrauen ist die Bereitschaft zur Selbstaufopferung. Und dieses emotionale Ver-trauen basiert auf Glauben, nämlich auf dem Glauben, dass der andere mein Vertrauen nicht missbraucht. Und es basiert auf Hoffnung, nämlich, dass mein unmittelbares Vertrauen auch positive Folgen für die zukünftige Kooperation hat. [...]
Dieses emotionale Vertrauen, das eben so wunderbar ist, weil es ohne Vor- und ohne Gegenleistung ist, wird dann doch etwas getrübt und wird zu einem Wagnis, wenn eben andere misstrauische Faktoren hineinkommen. Rationales Vertrauen - was ist das? Rationales Vertrauen ist es eben, wenn man die möglichen Folgen der Zukunft mit der Gegenwart abwägt, die Vorteile und die Nachteile ein bisschen abwägt untereinander. Sie haben jetzt alle gedacht an den Spruch: »Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser!« und gewartet, wann kommt nun endlich der Spruch. Jetzt kommt er. Im rationalen Vertrauen ist auch dieses bisschen Kontrolle, ein kleines Kontröllchen beim Vertrauen: Ich will doch mal ein bisschen nachdenken, was kommt. Deswegen ist es eben ein rationales Vertrauen mit einer gewissen Absicherung.
Denke ich dabei an Beispiele, dann fällt mir natürlich ein, was meine evangelische Kirche zum gemeinsamen Gebet sagt: Bitte, ihr evangelischen Christen, macht herzlich gerne multireligiöse Gebete. Das sind ja Gebete, wo man den anderen zuhört, mit Respekt dabei ist. Aber macht bitte keine interreligiösen Gebete, das bedeutet ja, man betet zusammen. So steht es ja eben auch in dieser Handreichung »Klarheit und gute Nachbarschaft« - ich will noch ein bisschen kritisch dazu sagen »sogenannte Klarheit und sogenannte gute Nachbarschaft«. Das ist ein Vertrauen, das die evangelische Kirche unbedingt in alle Religionen hineinbringen möchte, auf jeden Fall, aber es ist ein bisschen mit der dogmatischen Absicherung: Man soll unterscheiden, zu welchem Gott man jetzt betet. Und es soll nicht eventuell die Gefahr auftreten, dass man gar nicht weiß, wer zu welchem Gott betet. Und so ist eben diese Handreichung kritisch, skeptisch gegenüber christlich-muslimischen Eheschließungen. Das ist ja nicht falsch, aber es ist ja auch nicht richtig.
Wir sind kritisch gegenüber muslimischen Geschlechterrollen, wir sind skeptisch gegenüber dem Muezzinruf. Ich möchte jetzt das rationale Vertrauen keineswegs schlecht machen. Ich möchte sagen, dass beim rationalen Vertrauen die Gefahr eines sich einschleichenden Misstrauens doch sehr groß ist. Und ich wünsche mir eben im interreligiösen Dialog, dass auch viel von diesem unmittelbaren emotionalen Vertrauen kommt, manchmal geradezu ohne Absicherung. [...]
Lassen Sie mich mit ganz wenigen Worten sagen, was in dem Manifest drinsteht. Ich möchte es zusammenfassen in vier Aufforderungen des Runden Tisches der Religionen. Die erste Aufforderung lautet: Nehmt euch nicht negativ wahr! Nehmt doch die Muslime in Deutschland bitte nicht negativ wahr, im Höhepunkt gar eventuell als Zwangsverheiratete, als zwanghafte Kopftuchträgerinnen, als zwanghafte Parallelgesellschafter, als Überlegenheitsfanatiker oder gar als Terrorsympathisanten. Rechnet doch die drei Prozent, die es vielleicht sind, nicht auf 100 Prozent hoch. Und nehmt doch auch, ihr Muslime und ihr Buddhisten und ihr Juden, nicht die Christen vorrangig als - ich sage es einmal ganz radikal - dekadente Westler wahr, als dekadente Konsum- und Wachstumsfanatiker mit unbegrenzter Liberalität. Rechnet doch nicht die Minorität auf eine Mehrheit gleich hoch. Und nehmt doch die Juden nicht so negativ wahr als Gesetzesbefolger und vor allem auch nicht als Befürworter jeder israelischen Regierung. Und nehmt doch auch nicht die Hindus, die ja bei uns nun sehr wenige sind, immer als Hindufanatiker wahr; weil in Indien 1,2 Prozent wirklich fanatische politische Hindus sind, fängt man auch hier in Deutschland an, Hinduismus mit Gewalt gleich zu verbinden. Und umgekehrt will ich auch sagen: Nehmt auch Buddhisten nicht ausnahmslos als gewaltfreie Friedensstifter wahr - Sri Lanka und andere Länder zeigen uns das Gegenteil. Sondern, so ist eben der Vorschlag vom Runden Tisch der Religionen, begegnet euch in christlich-jüdischen, in christlich-muslimischen Gesellschaften an Runden Tischen der Religionen. In mindestens 15, 18 Städten Deutschlands gibt es sie, die religions-forpeace-Gruppierungen, diese Projekte »Judentum begreifen«, »Lade deinen Nachbarn ein«, »Weißt du, wer ich bin?«. Und kooperiert gemeinsam, in gemeinsamen Gebeten - ich sage jetzt deutlich von mir aus, ob multikulturell oder multireligiös oder interreligiös, ist egal, ich finde, das muss man dem Gewissen jedes einzelnen Gläubigen überlassen, wie er mit anderen Religiösen zusammen beten will. Und arbeitet für interreligiöse Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Seniorenheime. Das sind Lebensräume interreligiösen Lebens. Und kämpft auch für interreligiöse Stadträte, für interreligiöse Polizeistationen, für interreligiöse Fernsehräte und Rundfunkräte. [...]
Die zweite Aufforderung in diesem Blatt heißt eben: »Lasst euch nicht von Angst leiten und überwältigen oder gar lähmen.« Ihr Einheimischen hier, lasst euch doch nicht lähmen von einer möglichen Angst vor Überfremdung. Lasst euch doch nicht von Angst vor Parallelgesellschaften lähmen, von angeblichen Anmaßungen religiöser Minderheiten, die dann manchmal da sind; von zu hohen Minaretten oder von zu hohen Moscheekuppeln. Und ihr Muslime, lasst euch doch nicht kaputt machen von einer Angst vor möglichem Identitätsverlust, vor westlicher Korrumpierung eurer Kinder. Die Gefahr besteht natürlich, aber lasst euch nicht kaputtmachen von der Angst vor Ausgrenzung oder vor Vereinnahmung. Und ihr Juden in Deutschland, lasst euch doch nicht überwältigen von der völlig berechtigten Angst vor einem neuen Antisemitismus. Aber verbindet das bitte auch nicht gleich mit jeder Kritik an der israelischen Regierung. Und ihr Buddhisten, werdet aufgrund eurer Bewunderung, die euch immer wieder zu Recht zuteil wird, nicht kritiklos, sondern kritisiert - das ist die Forderung eben des Manifestes - kritisiert mit Augenmaß und vor allen Dingen auch selbstkritisch die Angriffe gegen euren Glauben, gegen eure Religion. [...]
Die dritte Aufforderung in unserem Manifest lautet: Tretet ein für die Rechte der anderen. Ihr Muslime und Christen, tretet ein für die Rechte und Pflichten der Juden. Ihr Juden, Christen und Bahá'ís, tretet ein für die Rechte und Pflichten der Muslime. Ihr Muslime, Juden und Christen, tretet ein für die Rechte und Pflichten der Bahá'ís. Kritik ist notwendig, auch Ablehnung eventuell. Aber man muss Religionsfreiheit gewähren. Religionsfreiheit ist eines der höchsten Güter, gewähren, auch wenn man die andere Religion nicht nur kritisiert, sondern ablehnt. Und die vierte und letzte Aufforderung im Manifest lautet eben: Schützt gemeinsam die natürlichen Lebensgrundlagen in Deutschland: Tiere, Pflanzen, Luft, Wasser, Energie und die wichtigste Ressource Menschlichkeit. Indem ihr Energievergeudung vermeidet, indem ihr Konsum kritisiert, indem ihr nicht dem Machbarkeitswahn anhängt. [...]
Noch zwei Sätze zu den theologischen Voraussetzungen: Wir könnten natürlich Vertrauen wagen und Vertrauen schaffen eigentlich nur dann, wenn wir in einigen theologischen Sachen übereinstimmen. Und ich nenne sie jetzt, auch auf die Gefahr hin, dass einige anders denken: Wir beziehen uns auf denselben Gott, wenn auch nicht auf den gleichen Gott, der religiös und kulturhistorisch und in anderer, durchaus dogmatischer Hinsicht unterschieden ist. Ferner, ich halte es für dringend notwendig, dass wir Glaubende verschiedener Religionen überzeugt sind, dass Gott sich auch in anderen Religionen manifestiert und in anderen Religionen wirkt. Das schließt natürlich nicht aus, dass wir das Menschliche an diesen Religionen kritisieren müssen und wollen. Wir müssen überzeugt sein, dass wir Gläubigen, alle, welcher Konfession oder Religion auch immer, wissen, wir haben für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu sorgen. Schließlich - wir sollten alle immer wieder bekennen als Gläubige, dass wir uns als Mensch, als Geschöpf und Kreatur Gottes verstehen. Und dass wir in verdankter Existenz leben. Und schließlich sollten auch wir über alle Religionen hinweg der Meinung sein, dass der Tod nicht das letzte Wort hat! [...]
Dr. Alfred Weil: Ich habe völlig zugestimmt, als Herr Professor Mokrosch sagte in Bezug auf alle anderen Religionen: Seht euch nicht so negativ. Vielleicht haben Sie die Nuance mitgekriegt: Beim Buddhismus hieß es: Seht ihn nicht so positiv an. Aber er hat Recht. Ich glaube nicht, dass bei den buddhistischen Idealen irgendetwas zu mäkeln wäre. Aber ich sehe den Unterschied zwischen der gelebten Praxis und dem Ideal, das wir vor uns hertragen. Und ich fordere auch von meinen Leuten: Seht das Christentum nicht so negativ. Hintergrund ist, dass viele deutsche Buddhisten früher Christen waren und sich abgewandt haben und jetzt nur noch das Positive im Buddhistischen sehen und nur noch das Negative im Christlichen. Das ist falsch. Deshalb fordere ich einen Perspektivenwechsel im eigenen Laden, realistisch hinzugucken, was denn passiert, und Praxis und Ideal sich ein bisschen anzunähern.
Was erwarte ich von den anderen Religionen als Buddhist? Es klingt vielleicht seltsam, wenn ich sage, da soll ein Dialog in Gang kommen. Der Dialog existiert, aber nur in einem bestimmten Bereich, wo er relativ harmlos ist. Denn Buddhisten haben nicht wirklich ein gesellschaftliches Konfliktpotenzial. Man redet mit ihnen, findet sie auch nett, aber es gibt nicht wirklich so Krachthemen. Es gibt keine Befürchtungen. Man hat keine Angst vor ihnen. Aber ich sage, das Konfliktpotenzial liegt auf einer ganz anderen Ebene. Weil wir eben nicht zum gleichen Gott beten. Wir beten gar nicht zu einem Gott. Und da wird der Dialog erst spannend. Denn solange man zu den Gottesreligionen gehört und ein gemeinsames Fundament hat, ist es relativ einfach, zu sagen: Ja, lasst uns doch mal reden. Aber wenn auf einmal Leute kommen, die für sich sagen, wir sind religiöse Menschen, wir sind spirituelle Menschen, aber bei uns kommt Gott nicht vor, dann wird es erst kniffelig. Und auf diesen Dialog warte ich.
Was erwarte ich von uns gemeinsam? Nun, dass wir in unserer Gesellschaft mehr darauf achten, dass Spiritualität insgesamt wieder Bedeutung hat. Da kommt es nicht so sehr auf die Nuancen an, sondern in einer Gesellschaft, wo es um Konsum und Konsumismus geht - ich spitze das ein bisschen zu -, da ist es unsere gemeinsame Aufgabe, zu sagen, es gibt eine ganz andere Dimension in diesem Leben, eine ganz andere existenzielle Dimension, die spirituelle, die religiöse - da wollen wir gemeinsam was dafür tun. Der Dalai Lama ist sozusagen eine Figur, die das repräsentiert, aber der Dalai Lama ist ein Minderheitenvertreter der tibetisch-buddhistischen Tradition, er steht nicht für den Buddhisten schlechthin. Das wäre meine Bitte an Sie, zu merken, dass die buddhistische Tradition eine sehr viel weitere ist und sehr viel mehr Perspektiven umfasst, als man glaubt. [...]